Online-Seminar: Europas Maritimes Umfeld - Sicherheitspolitisch ruhige See?!

Rund vierzig Teilnehmende diskutierten am 24. September 2020 im Rahmen eines Online-Seminars des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) mit Fregattenkapitän Axel Schrader vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr über das maritime Umfeld Europas und dessen sicherheitspolitische Implikationen.

Obwohl Europa an drei Seiten von Meeren umgeben ist, werde die Bedeutung der Marine laut Fregattenkapitän Schrader häufig unterschätzt. Während mit der Globalisierung Handel, Kommunikation und Migration auch auf maritimem Wege an Bedeutung gewinnen, seien die europäischen Marinen in der NATO seit Ende des Kalten Krieges geschrumpft.

 

Als Antwort darauf verabschiedete die EU 2014 ihre Strategie für maritime Sicherheit (EUMSS), die insgesamt sechs Kernaspekte umfasst. Als zentraler Punkt gilt „Sicherheit und Frieden“. Dabei zeigt sich der sogenannte Krisenbogen um Europa, der sich neben dem Ukrainekonflikt, dem syrischen Bürgerkrieg und bewaffneten Konflikten wie in Mali, auch in maritimen Krisen wie den Grenzstreitigkeiten zwischen Zypern und der Türkei im östlichen Mittelmeer ausdrückt. Europa ist somit maßgeblich von den Krisen an seinen Außengrenzen beeinflusst In Bezug auf den Aspekt „Rechtsstaatlichkeit und Freiheit der Schifffahrt“, stellt Chinas Agieren im Südchinesischen Meer eine Herausforderung dar. Zudem versuche China geschickt mittels seiner Belt-and-Road-Initiative Europa zu spalten und den eigenen Einfluss zu erweitern. Beim Punkt „Kontrolle der Außengrenzen“ verwies Schrader insbesondere auf die Migration. Die „Seeverkehrsinfrastruktur wie Häfen, Küstenschutz und Unterwasserkabel“ gewinne dahingehend an Bedeutung, dass diese stärker denn je vor (Cyber-)Attacken geschützt werden müsse, so Schrader. Weiter führte er aus, dass die Unterseekabel im Atlantik für rund 90 Prozent der Kommunikation zwischen Nordamerika und Europa verantwortlich seien. Ergänzend konzentriert sich die EUMSS auf gemeinsame natürliche Ressourcen und Umwelthygiene sowie den Umgang mit dem Klimawandel.

 

Die NATO ist mit ähnlichen Problemen beschäftigt, wobei der Fokus vor allem auf Russland liege. Neben der NATO-Ostgrenze am Baltikum und den Aktivitäten im Schwarzen Meer nach der Krimannexion stellen nach Meinung von Fregattenkapitän Schrader speziell die russischen Atom-Uboote der Nordflotte eine ernstzunehmende maritime Gefahr für die NATO dar. Russland habe in den vergangenen Jahren intensiv in die Modernisierung seiner Flotte investiert. Hierbei sei laut Schrader besonders die Grenze zwischen Grönland, Island und dem Vereinigten Königreich zu beachten. „Wenn ein russisches Uboot unerkannt durch diese Lücke durchkommt und in die Tiefen des Atlantiks verschwindet, ist es unheimlich schwer es wieder zu finden“, so Schrader. Diese könnten dann nicht nur die USA vor der Küste Nordamerikas, sondern auch Europa von Westen her bedrohen. Während Russland vor allem von den baltischen Staaten und Polen als Bedrohung wahrgenommen wird, liegt der Fokus der südeuropäischen Staaten auf der Migration aus Nordafrika. Daraus resultieren unterschiedliche Aufgaben für die NATO: mit Blick auf Russland im Osten klassische Bündnisverteidigung und im Süden Krisenmanagement und „Projecting Stability“. Um diesen Herausforderungen begegnen zu können, kommen den sogenannten „Standing Naval Forces“ der NATO eine wichtige Rolle zu. Diese vier stehenden Marineverbände mit Seekampf-, aber auch Minenabwehrfähigkeit, können ohne große Hürden schnell in ein Krisengebiet entsendet werden und erste Maßnahmen ergreifen.

 

Die Einsätze der Deutschen Marine konzentrieren sich weitgehend auf das Mittelmeer. Im Rahmen der NATO beteiligt sich Deutschland etwa in der Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2) an der Kontrolle und dem Schutz strategischer Seewege vor der Küste Nordafrikas und im „levantischen Meer“ und unterstützt in der Ägäis den Informationsaustausch über Schleppernetzwerke. Zudem nehmen regelmäßig deutsche Marineschiffe an der NATO-Operation Sea Guardian teil und tragen damit zur Stärkung der Südflanke der Allianz bei. Im Rahmen der EU engagiert sich die Bundeswehr an der seit 2020 bestehenden Mission EU NAVFOR MED Irini im zentralen Mittelmeer. Hierbei sei hervorzuheben, dass es sich nicht um die Nachfolgemission der Operation Sophia handele, die weitgehend zu einer “Flüchtlingsrettungsmission” geworden sei, so Schrader. Vielmehr ist der Auftrag der Mission Irini, das Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen. Die zweite EU-Marinemission, EU NAVFOR Atalanta, fokussiert sich seit 2008 auf die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika und schützt damit auch die humanitären Seetransporte des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen von und nach Somalia. UNIFIL, als einzige maritime Mission der Vereinten Nationen, dient vor der libanesischen Küste der Überwachung des Waffenstillstands zwischen dem Libanon und Israel.

 

In der anschließenden Diskussion beantwortete Fregattenkapitän eine Vielzahl an Fragen der Teilnehmenden: von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Soldatinnen und Soldaten der Marine im Einsatz, den russischen Fähigkeiten in der baltischen See, über die zunehmende sicherheitspolitische Bedeutung der Arktis bis hin zu Chinas Agieren im Südchinesischen Meer und dem Potenzial einer „Freedom of Navigation“-Operation der deutschen Marine in der Region.

 

Abschließend möchten wir uns bei allen Zuschauerinnen und Zuschauern, sowie insbesondere bei unserem Referenten, Fregattenkapitän Axel Schrader, für die spannende Diskussion bedanken. Das vollständige Online-Seminar ist auf dem YouTube-Kanal des BSH abrufbar unter: https://youtu.be/pd2Cd7yDJ_w