Komplexe Lösungen für komplexe Herausforderungen: Von der Verantwortung zu Diskutieren

Wie aus wissenschaftlichen Expertisen und politischem Diskurs deutsche Außenpolitik erwachsen kann, lernten und diskutierten Ende Juni vier Tage lang die Teilnehmer der XXIX. Sicherheitspolitischen Grundakademie des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen.

 

Die Seminarteilnehmer/innen zu Gast im Bundestag bei MdB Tobias Zech (© BSH/Cieszewski)

MdB Zech betont die Wichtigkeit von sicherheitspolitischem Diskurs (© BSH/Fuhrmann)

MdB Tobias Lindner zu Gast auf der Grundakademie (© BSH/Fuhrmann)

"Europäisierung von Sicherheitspolitik darf nicht zu Entdemokratisierung führen!", betont Lindner (© BSH/Fuhrmann)

Dr. Eric J. Ballbach beim Vortrag zu Nordkorea (© BSH/Fuhrmann)

Dr. Klaus Wittmann liefert einen Ausblick auf die Beziehungen der NATO zu Russland (© BSH/Fuhrmann)

Prof. Dr. Wolfgang Bock referiert zu politischen Ordnungen im Nahen und Mittleren Osten (© BSH/Fuhrmann)

Die Seminarteilnehmer/innen besuchen die mexikanische Botschaft (© BSH/Fuhrmann)

„Im Jahr 2013 hat sich niemand in Politik, Medien und Bevölkerung für Sicherheitspolitik interessiert. Dann kamen politische Unruhen in Griechenland, die Annexion der Krim, der Ebola-Ausbruch, die Migrationskrise. Und neben Brexit und Terroranschlägen tritt die Ost-Ukraine wieder in den Hintergrund, auch wenn dort täglich geschossen wird.“ Mit diesem ernüchternden Stand des sicherheitspolitischen Diskurses in Deutschland empfing der Abgeordnete Tobias Zech von der CSU die Seminarteilnehmer im deutschen Bundestag. Auch sein Kollege Dr. Tobias Lindner (Bündnis90/Die Grünen) kommt zu dem Schluss, dass durch die Aussetzung der Wehrpflicht, nicht nur der Kontakt zwischen Armee und Bevölkerung abnehme, sondern auch der Diskurs über Sicherheitspolitik nicht mehr ausreichend geführt stattfinde.

 

Während beide Abgeordnete mit Blick auf die innere Aufstellung der Bundeswehr entschieden gegen neue Armeereformen sind, zeigten sie in der Diskussion um die Europäisierung der Streitkräfte durchaus unterschiedliche Auffassungen. So befürwortete Lindner eine weitere Verzahnung europäischer Armeen zur Lastenverteilung und Kostenersparnis. Zech hingegen votierte klar gegen ein solches Vorgehen. Die Verfügungsgewalt über die Streitkräfte müsse alleine dem deutschen Parlament obliegen. Wie Zech sieht aber auch Lindner den Parlamentsvorbehalt als rote Linie. Parlamente seien ihm zufolge in der europäischen Sicherheitspolitik auch gar nicht das Problem. „Wir haben in Europa vielmehr das Problem, dass wird kein gemeinsames Verständnis darüber haben, wofür wir bereit sind, unser Militär einzusetzen und wofür nicht!“ Bedrohungen durch hybride Kriegsführung und Cyber-Angriffe stufte er dabei als größte Herausforderungen für die Landesverteidigung in den kommenden Jahren ein. Während Lindner dabei die Anknüpfung der Cyber-Verteidigung im Innenministerium befürwortet, sprach sich Zech auch für eine Offensivkapazität im Cyberbereich aus, da nur so Infrastruktur langfristig geschützt werden könne.

 

Mit Blick auf das generelle Aufgabenprofil der Streitkräfte bemängelten beide MdBs die unzureichende Ausrüstung der Truppe. So fasste es Lindner mit „Wir befinden uns bei der Bundeswehr im materiellen Mangel und finanziellen Überfluss zugleich“ zusammen. Welche Herausforderungen die langfristige Anschaffung von Rüstungsgütern darstellt, erfuhr die Gruppe durch beim Fachvortrag im Bundesministerium der Verteidigung. Die Bundeswehr habe besonders mit drei Problemfeldern zu kämpfen habe. So sei die nationale Nachfrage nach Rüstungsgütern zu gering, um die Entwicklungs- und Produktionskosten der Firmen zu decken. Daraus resultiere eine Exportabhängigkeit welche gleichzeitig mit einem wachsenden Konsolidierungsdruck der Europäischen Industrie zusammenfalle. Um dabei Schlüsseltechnologien weiterhin für den Standort Deutschland zu erhalten, müsse in der Beschaffung besonderer Wert auf die Forschung und Entwicklung gelegt werden. Gleichzeitig könnten europäische Beschaffungskartelle eine preissparende Alternative bieten und gleichzeitig Europäische Rüstungstechnologien angleichen. Ein guter Schritt in diese Richtung seien die deutsch-französischen Kooperationen in diesem Bereich.

 

Wie wichtig es ist, hergebrachte Narrative der Sicherheitspolitik zu hinterfragen und die Motivationen sicherheitspolitische relevanter Akteure der Internationalen Gemeinschaft zu erkennen, verdeutlichte Dr. Eric J. Ballbach von der Freien Universität Berlin. In seinem Vortrag zu Nordkorea forderte er die Teilnehmer dazu auf, das Bild einer unberechenbaren isolierten Diktatur zu hinterfragen. So sei das nordkoreanische Regime seit 70 Jahren ein rational handelnder Akteur, der in 164 Ländern Botschaften unterhalte und somit zu den berechenbarsten Akteuren in der internationalen Ordnung gehöre. So müsse etwa der westliche Blick auf das Land, welcher historisch geprägt von US-amerikanischen und japanischen Quellen entspringt, sowie die Veralberung der Raketentests in westlichen Medien hinterfragt werden.  Mit dem Dreiklang „Power, Prestige, stable Politics“, versuchte Ballbach aufzuzeigen, dass die nukleare Bewaffnung für den Regimeerhalt unumgänglich ist und eine Denuklearisierung das Erbe von Kim Jong Il verraten würde. Regionalmächte wie westliche Partner hätten in der Nordkoreapolitik keine Kohärenz bewiesen und schwankten zwischen der strategischen Untätigkeit der Obama Administration und Konfrontierung durch Präsident Trump. Bei der Auswahl der politischen Mittel sollte zwar nicht auf wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen verzichtet werden, es müsse aber auch bewusst sein, dass durch getrennte Wirtschaftskreisläufe lediglich die Zivilbevölkerung leide während das Militär weiter von Rücklagen leben könne. Gerade in der Bevölkerung sieht Ballbach die größte Schwäche des Regimes: „Wer sein Leben lang gesagt bekommt, Südkorea sei völlig unterentwickelt und nun über den Einzug erhaltenden Mobilfunk die Wahrheit erfährt, bei dem entstehen die ersten Zweifel."

 

Ähnliches wusste auch Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann (Aspen Institute), in seinem Vortrag zum Stand und Aussichten der NATO-Russland-Beziehungen zu berichten. Zwar sei „Putin verstehen“ wichtig, was aber nicht „ Verständnis für sein vorgehen und schon gar nicht dessen Billigung bedeuten kann.“ So seien der russische Revisionismus, das Großmachtstreben und das Bestehen auf einer Hegemonialstellung in Osteuropa auch durch die Angst vor Kontrollverlust getrieben, die sich noch aus den Erfahrungen des Untergangs der Sowjetunion speisten. „Die äußere Aggression wird gewählt, um von internen Problemen abzulenken, und ‚Democracy Containment‘ soll Russland vor dem ‚demokratischen Virus‘ schützen. Demokratischer Erfolg in der Ukraine wäre für Putins Macht- und Herrschaftssystem die größte Bedrohung.“, so Wittmann. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, habe die NATO und ihre Mitgliedstaaten, trotz der der nötigen Sanktionen, stets Kanäle zum Dialog offengehalten. Dabei müsse jedoch auch der Kreml westliche Bedenken ernst nehmen, Souveränität und territoriale Integrität achten sowie damit aufhören, Konflikte in der Ukraine, Transnistrien und Bergkarabach zu befeuern. Russland müsse trotz allem, kooperativ statt konfrontativ und auf Augenhöhe begegnet werden, um auch unter Reflexion der eigenen Verantwortung dem Land einen Ausweg aus der selbstgewählten Isolation zu bieten. Wer aber von deutsch-russischer „Nachbarschaft“ schwärme, so Dr. Wittmann, „der sei daran erinnert, dass zwischen beiden Ländern 90 Millionen Menschen leben, denen  ungute historische Reminiszenzen kommen, sollten Berlin und Moskau über ihre Köpfe hinweg entscheiden.“

 

Neben dem Fokus auf Asien und Russland, setzte die Grundakademie auch weitere regionale Schwerpunkte. Oberstleutnant i.G. Burkhard Kühnapfel erläuterte beim Besuch der Bundesakademie für Sicherheitspolitik anschaulich, welche Chancen für Handel und welche Herausforderungen durch die organisierte Kriminalität in Zentralasien bestehen. Einen Einblick in die bilaterale Kooperation Deutschlands mit Mexiko bot ein Botschaftsbesuch im Gespräch mit dem politischen Gesandten. Einblicke in die inneren Dynamiken des Nahen und Mittleren Osten lieferte darüber hinaus Prof. Dr. Wolfgang Bock mit einem Vortrag zu Staatlichkeit und Konflikten in der Region. Den gemeinsamen Nenner aller Vorträge bildete die Verabschiedung aus dem Bundestag durch den Abgeordneten Tobias Zech. Allen solle bewusst sein, dass wir „in einer Blase des Wohlstandes [leben] und wenn wir das Leid in anderen Teilen der Welt nicht lindern und vor Ort Verantwortung übernehmen, kommt dieses Leid zu uns“. So bekräftigte er abschließend die Bedeutung eines umfassenden öffentlichen Diskurses zu Sicherheitspolitik, den der BSH durch seine Arbeit fördern möchte: „Aufgabe für uns Parlamentarier, aber auch für euch, ist es, nie aufzuhören über Sicherheitspolitik zu diskutieren!“, gab er den Seminarteilnehmern mit auf den Weg.