Ertüchtigungsintiativen: Wenn Flexibilität gefragt ist

Große Worte, große Effizienz? Die Ertüchtigungsinitiative dient seit 2011 als deutsches Instrument zur schnellen und flexiblen Unterstützung krisengeprägter Regionen. Waffenlieferungen, Trainingsmissionen, Ausrüstung – das Spektrum der möglichen Maßnahmen ist weit. Doch was kann diese „Ertüchtigung“ eigentlich? Hierüber referierte eine Arbeitsgruppe des BSH am 30.03.2017 beim Berliner Colloquium 2017 und versuchte Klarheit zu schaffen.

Vertreter des BSH referieren zu Ertüchtigungsintiativen (©BSH)

Deutsche Ertüchtigungsmaßnahmen im Überblick (©BSH)

BSH zum ersten Mal beim Berliner Colloquium der Clausewitz-Gesellschaft und Bundesakademie für Sicherheitspolitik vertreten (©BSH)

 „Was ist eigentlich neu an der Ertüchtigung? Das gab es doch alles schon und es ist nichts genuin Neues! Nur ein neuer Haushaltstitel.“, schlussfolgerte einer der Teilnehmer des Berliner Colloquiums nach dem Vortrag der Arbeitsgruppe. Eine gewisse Kritik beziehungsweise eine Entzauberung des Instruments war bereits während des Vortrages deutlich geworden. So stellte Lena Strauß (BSH) fest, dass es sich bei der Ertüchtigungsinitiative eher um eine Art Labeling – also einen neuen Namen für einen teilweise längst verfolgten Ansatz – handele. Denn die einzelnen Maßnahmen im Rahmen der Initiativen seien keineswegs neu: Sie reichen beispielsweise von finanzieller und materieller Unterstützung über Ausrüstungs- und Waffenlieferungen bis hin zur Ausbildung und dem Training der Sicherheitskräfte vor Ort.

 

Auch wenn die Maßnahmen sehr speziell auf die Unterstützung der Sicherheits- und Streitkräfte abzielen, lässt sich der Ansatz nicht ohne die größeren Demokratisierungs- und Peacebuilding-Bestrebungen der letzten Jahrzehnte denken – geschweige denn durchführen. Er diene vielmehr als additive Komponente im Rahmen eines vernetzten sicherheitspolitischen Ansatzes. So fasste Jan Fuhrmann vom BSH zusammen: „Ertüchtigung ist in erster Linie ein kleines, flexibles Haushaltsinstrument.“ Bei einer detaillierteren Betrachtung der Zielländer falle auf, dass auch Länder ohne entsprechende UN- oder EU-Mission –  wie beispielsweise Jordanien – im Rahmen der Ertüchtigung Mittel erhalten. Im Speziellen sei in diesem Zusammenhang jedoch der Koordinierungsaufwand zwischen multilateralen Missionen und bilateralen Abkommen eine Herausforderung für den ertüchtigenden Staat, so Anne-Kathrin Herlitze (BSH). Ob die einzelnen Ansätze kompatibel sind und ineinander greifen, zeige sich oftmals erst in der Praxis. Doch „wenn man bereits einen guten Sicherheitssektor hat, braucht man ihn nicht explizit zu stärken – ertüchtigen kann man aber dennoch, unabhängig von der Sicherheitssektorreform.“, bekräftigte Fuhrmann. Vermutlich liege auch genau hier der Bedarf, ein Instrument zu schaffen, welches die Lücke zwischen einem robusten Einsatz und dem absoluten Heraushalten aus internationalen Konflikten fülle.

 

„Um Ertüchtigung ganzheitlich zu verstehen, müssen wir die Historie betrachten: Was sind die Alternativen? Mit dem militärischen Hammer rein zugehen wie auf dem Balkan? Deswegen bleibt uns nur die Ertüchtigung als alternatives Instrument – keine Gießkanne, sondern ein dezidiertes Engagement“, fasste ein Teilnehmer seine Perspektive zusammen. Letztendlich, so Strauß, sollte man sich die Grundidee der Ertüchtigung bildlich vor Augen führen. Der Ertüchtigungsbegriff beziehe sich im Bundeshaushalt ansonsten auf die Brücken- und Straßeninstandsetzung. In diesem Zusammenhang müsse auch der sicherheitspolitische Ertüchtigungsansatz praktisch gedacht werde: Wie könne mit Ertüchtigungsmittel bestehende Sicherheitsstrukturen „instandgesetzt“ – ergo ertüchtigt – werden?

 

Der Fokus der Analyse müsse dabei immer auf dem spezifischen Sicherheitsinteresse des Ertüchtigers selbst liegen. Für den Fall Mali kommentierte ein Teilnehmer aus dem Fachpublikum, Deutschland strebe an sowohl die Ausbreitung des globalen Jihadismus in Subsahara Afrika zu stoppen sowie auch die Zusammenarbeit mit unserem wichtigen Verbündeten Frankreich zu stärken. Mit der Ertüchtigung habe man einen Ansatz geschaffen, der deutschen Interessen diene und diese zugleich im öffentlichen Diskurs legitimieren könne. „Was ist jedoch zu tun, wenn der einstige Freund zum Feind wird?“, fragte ein Teilnehmer das Podium vor dem Hintergrund, dass der Ertüchtigungsansatz fast ausschließlich in fragilen Kontexten angewandt wird. „Hier gibt eine einfache Antwort, allerdings ist Umsetzung schwierig“, leitete Henning Walravens vom BSH seine Antwort ein. Die Schwierigkeit bestehe hier vor allem ganz am Anfang bei der Zielauswahl. Es müsse sichergestellt werden, dass sich der regionale Partner auch in Zukunft kontrollieren lasse. Auch deshalb werde aus diesem Haushaltpunkt beispielsweise die Errichtung von Waffenlagern in Mali finanziert, um die Kontrolle der gelieferten Waffen zukünftig gewährleisten zu können.

 

Im Hinblick auf die Länder, in welchen Deutschland ertüchtige, stelle sich indessen die Frage, ob mit der Ertüchtigung überhaupt Krisenprävention oder nicht viel mehr Krisennachsorge betreibe. „Wenn ich mir Mali oder den Irak ansehe, dann frage ich mich: ist die Krise nicht schon längst da?“, hakte ein Teilnehmer nach. Fuhrmann konkretisierte die Frage dahingehend, dass Ertüchtigung von der Reaktivität zur Proaktivität entwickelt werden müsse, um ein probates Instrument der Krisenvorsorge zu werden. Die Legitimität der durchgeführten Maßnahmen entstehe erst durch ihre Effizienz einer gewaltsamen Krise vorzubeugen. Wenn dies gelinge, könne das Ertüchtigungsinstrument allerdings zu einem High Impact Tool werden, schlussfolgerte Fuhrmann.

 

Das Berliner Colloquium ist eine jährlich stattfindende wissenschaftliche Fachtagung der Clausewitz-Gesellschaft in Kooperation mit der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. In diesem Jahr war der BSH erstmals mit einem eigenen thematischen Panel auf der Konferenz vertreten. Mit den Worten, dass „es Ihre Aufgabe als Akademiker ist, das Konzept nicht weiter zu verkomplizieren, sondern diesen Ansatz für die Politik handhabbar zu machen“, wünschte ein Teilnehmer dem BSH viel Glück bei seiner weiteren akademischen Arbeit. Sowohl die angeregte Vortragsdiskussion wie auch das positive Tagungsteilnehmer-Feedback im Anschluss an das BSH-Panel bewiesen dabei die hohe Aktualität der Thematik Ertüchtigung. Der Bundesvorsitzende Jan Fuhrmann zog eine positive Bilanz: „Wir möchten als BSH dem jungen akademischen Nachwuchs eine Stimme im sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland geben.“ Durch die Möglichkeit der Teilnahme am Berliner Colloquium sei ein weiterer wichtiger Schritt unternommen worden, jungen Akademikern mehr Gehör zu verschaffen.