Bericht: Security Governance und Terrorismusbekämpfung in der EU

Steht Europa dschihadistischen Terroranschlägen machtlos gegenüber? Werden wir “auf lange Zeit mit der terroristischen Bedrohung leben müssen”, wie der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière 2017 voraussagte? Oder könnte die verstärkte europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror schlussendlich fatalere Folgen haben als der Terror selbst?

Über “Security Governance in der EU - Anti-Terror-Politik und Kooperation” diskutierten Mitglieder und Gäste der Berliner Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik (BAS) am 24. September 2018 mit Dr. Raphael Bossong.

Poster der Veranstaltung (© BAS)

Teilnehmer*innen (© BAS)

Dr. Bossong forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in der Forschungsgruppe EU/Europa, seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die EU-Antiterrorismuspolitik, Grenzsicherung und die Auswirkungen der Migrationskrise auf die EU. Zuvor arbeitete er unter anderem als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Um die aktuelle Bedrohungslage durch Terrorismus einzuordnen machte Dr. Bossong zunächst auf die historischen Parallelen der heutigen Situation aufmerksam. So gab es seit Beginn der Neuzeit schon mindestens drei vergleichbar Wellen des Terrorismus in der westlichen Welt: Den anarchistischen Terrorismus um 1900, den Terrorismus im Rahmen der nationalistischen und antikolonialen Bewegungen nach dem 2. Weltkrieg und den linksextremistischen Terrorismus der 70er und 80er. Alle vorhergehenden Wellen des Terrorismus hielten etwa 30 - 40 Jahre an, so Dr. Bossong - es ist also durchaus möglich, dass sich auch die derzeitige Welle des Terrorismus schon dem Ende zuneigt. Doch gleichzeitig gibt es einige Faktoren, die dazu führen könnten, dass der dschihadistische Terrorismus auch länger besteht, etwa die andauernde Krisenlage im Nahen und Mittleren Osten und die Möglichkeiten des Internets, Propaganda oder Anleitungen zum Bombenbau im Sekundenschnelle zu verbreiten.

Besonders wichtig für die europäische Reaktion hierauf ist die Verhältnismäßigkeit, so Dr. Bossong - schließlich ist das Ziel von Terrorismus, Überreaktionen zu provozieren und so die angegriffene Gesellschaft zu spalten, was historisch gesehen schon oftmals erfolgreich war. Zu viel Repression, etwa mit Maßnahmen wie Passentzug für Gefährder und damit dem Aufheben der Unschuldsvermutung, ist laut Dr. Bossong daher zu vermeiden. Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Repression aber auch notwendig, wozu auch militärische Mittel im Ausland gehören können - hier greift der deutsche Fokus auf reine polizeiliche Mittel manchmal zu kurz. Bei Prävention und der weltweiten Harmonisierung von Anti-Terror-Maßnahmen ist vor allem wichtig, genau und regelmäßig zu prüfen, welche Maßnahmen wo am sinnvollsten sind.

Einige europäische Zusammenarbeit gegen Terrorismus war schon in den 70ern und 80ern entstanden, doch wirklich forciert wurde sie erst nach 9/11 und den Anschlägen von Madrid und London, etwa mit der Einführung des europäischen Haftbefehls. Nach dem Abflauen terroristischer Aktivitäten und dem Beginn der Eurokrise verlor das Thema an Bedeutung und wurde erst nach den Anschlägen in Paris und Brüssel und der Migrationskrise wieder zu einem Kernpunkt europäischer Kooperation. Dies führte laut Dr. Bossong auch tatsächlich zu handfesten Verbesserungen, etwa einem sehr viel stärkeren Informationsaustausch innerhalb der EU. Gleichzeitig gibt es mehr Wille zu Engagement im Ausland, beispielsweise beim Einsatz in Mali oder bei der Kooperation mit Drittstaaten, bis hin zur Zusammenarbeit mit autoritären Regimes. Auch Online-Propaganda von Terroristen wird verstärkt ins Visier genommen, und bei der Grenzpolitik gewinnt das Konzept repressiver Grenzsicherung, wie etwa in den USA praktiziert, an Bedeutung.

Als Fazit des Abends sah Dr. Bossong sowohl Licht als auch Schatten bei der europäischen Security Governance. Positiv ist hervorzuheben, dass alle EU-Mitgliedstaaten sich an der Anti-Terror-Politik beteiligen, vor allem mit sehr viel besserem Informationsaustausch, und dass die Proportionalität der Maßnahmen und der Grundrechtsschutz vergleichsweise gut funktionieren. Gleichzeitig gibt es laut Dr. Bossong auch Schwächen, etwa eine ineffektive europäische Außenpolitik, die mit autoritären Staaten kooperiert, weil sie sonst keine Möglichkeiten hat, sowie wenige EU-Mittel für Prävention und einen unübersichtlichen europäischen Rechtsrahmen. Eine besondere Herausforderung wird in Zukunft der Umgang mit Menschen sein, die nach einer Haftstrafe für terroristische Betätigung freigelassen werden - hier mahnte Dr. Bossong, dass ein Rechtsstaat aushalten muss, wenn einige dieser Entlassenen rückfällig werden.

Die BAS dankt Dr. Bossong für seine Zeit und das hochinteressante Gespräch, allen Gästen für eine engagierte Diskussion und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin für die Bereitstellung der Räumlichkeiten.