Bericht Online-Seminar: NATO Enhanced Forward Presence – Einblicke in die NATO-Battlegroup Lithuania

Am 08. März 2022 lud der BSH zur Diskussion mit Philipp Fritz zur NATO Enhanced Forward Presence (eFP). Zum Abschluss wurde festgestellt, dass der Austausch und neue Einblicke Mut in Zeiten der russischen Invasion in der Ukraine macht, da wir doch gar nicht so schlecht aufgestellt sind.

Major d.R. Philipp Fritz ist BSH-Alumnus und Doktorand an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, an der er auch seinen Master im Fach Ethnologie mit einer Forschungsarbeit zu den Einsatzrealitäten und militärischen Subkulturen deutscher Soldatinnen und Soldaten abschloss. Sein Forschungsinteresse gilt der Konstituierung einer Militärethnologie sowie dem militanten Extremismus im globalen Kontext. Philipp war bis vor Kurzem im Rahmen der NATO eFP Mission im multinationalen Stab der Battlegroup in Litauen eingesetzt.

Nach der Begrüßung und Vorstellung durch den Bundesvorsitzenden Lukas Huckfeldt teilte Philipp seine Eindrücke der Mission und einsatzgleichen Verpflichtung in Rukla, Litauen.

Im ersten Schritt bot Philipp eine Übersicht über die multinationale Battlegroup (BG) in Polen, Lettland, Estland, Litauen. Der Fokus der Kräfte im Baltikum liegt im Verzögerungsgefecht, sowie dem Zurückerobern, da im Kriegsfalle die Suwalki-Gap zunur einemn schmalen Flaschenhals für unterstützende Kräfte, Logistik und Weiteres wird. Nach Studien amerikanischern Think Tanks sei diese Lücke zwischen dem hoch militarisierten Kaliningrad und dem russlandnahen Belarus lediglich 60 Stunden zu halten, bevor das Baltikum nicht mehr über Landwege versorgt werden könne. Grundsätzlich rotiert alles Personal und Material alle sechs Monate auf Grund der NATO-Russland-Grundakte, die zehnte Rotation der BG Litauen (BG LTU) nahm zwischen September und August 2021 ihre Arbeit auf und wurde vorweg  per Flug, Land, Bahn und Fußmarsch verlegt. Die immer von einem deutschen Kommandeur angeführte Battlegroup ist in die litauische IRON WOLF Brigade eingegliedert, untersteht dem litauischen Kommandeur und ist Teil des litauischen national defence plans.

 

Auftrag der Battlegroup im Rahmen der eFP ist es vor allem, einen Beitrag zu einer glaubhaften Abschreckung zu leisten, sowie Litauen zu verteidigen und rückzuversichern. Hierzu ist die sichtbare Präsenz eines schlagkräftigen multinationalen Gefechtsverbands unabdingbar. Litauen verlässt sich darauf, dass die Battlegroup ihrer Pflicht nachkommt. Um dies auch in Friedenszeiten zu zeigen, gehört es zum Alltag der Soldatinnen und Soldaten, öffentlichkeitswirksam Bilder der Stärke zu produzieren.  Zu den Routine-Aufgaben der Rotationen gehört eine dauerhafte multinationale Ausbildung, die in Übungen und Wettkämpfen unter Beweis gestellt wird. Grundsätzlich soll die eFP Rukla ein starkes Signal für die Bündnissolidarität und den Verteidigungswillen der NATO aussenden.

 

Die Zielsetzung der 10. Rotation war ein glaubwürdiger Beitrag zur Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft durch realitätsnahe Ausbildungs- und Übungsvorhaben, Kommunikation und sichtbare Präsenz. Konkreter für galt es für die gesamte BG, ein voll einsatzbereiter und multinational interoperabler Gefechtsverband zu sein, der vollständig in die litauische Brigade IRON WOLF integriert ist. Der Stab der BG sollte voll funktionsfähig und in der Operationsplanung/-Führung eingespielter Stab mit der Fähigkeit, laufende und künftige Operationen zu unterstützen und zu planen sein. Die Kampftruppen sollten wirksam, effizient, flexibel und präzise bei der Durchführung von Operationen der verbundenen Kräfte, Verzögerung, Ausnutzung und Vorbereitung von Gefechtsstreifen sowie bei urbanen Operationen auf der Ebene Kompanie sein.

 

Im Cyber- und Informationsraum spielt hybrid warfare eine herausgehobene Rolle. Es gilt dem russischen Narrativ, dass die NATO der Aggressor sei, zu begegnen. Dieses Narrativ hat auch Prof. Dr. Carlo Masala bei "maybrit illner" am 10. März 2022 eingeordnet, hier zu finden. Im Zusammenhang der eFP in Rukla spielt das individuelle Verhalten der Soldatinnen und Soldaten eine herausgehobene Rolle hierbei, da sie durch ihr Verhalten – auch im privaten Social-Media-Umfeld – die Verantwortung für die Wahrnehmung der eFP-Brigade in Litauen tragen.  Philipp sprach von einer Enhanced Forward Social Media Presence. 

 

Die Vielfältigkeit und das breite Fähigkeitsspektrum der BG bildet sich auch in Gliederung der 10. Rotation ab. Zum einen ist der multinationale Stab/fachliche Berater und Unterstützungsfunktionen (Psychologen, Pfarrer, Umweltoffiziere, Sicherheit, Cyber, IT oder Planung) zu nennen. Um auch wirklich kämpfen zu können, bedarf es der Kampftruppe, den Pionieren sowie der wichtigen Flugabwehr, welche durch die Tschechen gestellt wurde. Besonderheit der 10. Rotation war das deutsch-niederländische Panzerbataillon als binationale Komponente. Ohne Logistik und Sanität ist kein Verband kampffähig, sie runden die Gliederung ab.

 

Ausbildung und Übung spielten in den sechs Monaten eine wesentliche Rolle. So gab es für beispielsweise Aufklärung, Logistik, Leadership und das urbane Gefecht Trainings, sowie internationale Wettkämpfe. Die Übungen wurden auf verschiedenen Übungsplätzen durchgeführt. Die verschiedenen Übungsplätze bieten die Möglichkeit sowohl das raumintensive Agieren mit Kampfpanzern, Kämpfen im urbanen Raum oder den Einsatz der Artillerie zu üben. Die Möglichkeiten werden von deutschen Soldatinne und Soldaten geschätzt.

 

Der Operationsplan zeigt den zeitlichen Ablauf der aufeinander aufbauenden Übungen und gibt konkrete Vorstellung über die Tätigkeiten und Belastungen. Nach erfolgreicher Übergabe wurde auf Ebene Zug und Kompanie ausgebildet. Im nächsten logischen Schritt wurde auf Battlegroup-Ebene ausgebildet und geübt, um die anschließende Zertifizierungsübung IRON WOLF als gesamte Brigade absolvieren zu können. Beobachter und Beobachterinnen aus allen NATO-Staaten nehmen an der Übung teil, um die Einsatzfähigkeit festzustellen. Der Höhepunkt ist die Abschlussübung der Battlegroup im scharfen Schuss. Nach erfolgreichem Ablegen der Abschlussübung wird Stab und Kompanie weiter ausgebildet und instand gehalten (combat readiness). Der Vorbereitung der Rückverlegung und Übergabe bildet das Ende des Operationsplanes.

 

Philipp zeigte neben den Stärken auch Herausforderungen auf. So behindert beispielsweise der Mangel an multinationalen, interoperablen Duell-Simulationssystem die Ausbildung auf Kompanie- und Gefechtsverbandsebene.

 

Ein besonders wichtiger Aspekt sind die Soldatinnen und Soldaten selbst, die so manches Mal bei Diskussionen auf strategischer Ebene vergessen werden. Das soldatisches Leben bei Übungen ist gerade im litauischen Winter von Entbehrungen geprägt. Betreuung und Fürsorge  wird mit besonderer soldatischer Kreativität gewährleistet, gerade zu Weihnachten und Silvester. Philipp berichtete begeistert von den Viking Games, sportliche Wettkämpfe organisiert durch die norwegischen Kameradinnen und Kameraden. Theoretisch hat man einen Tag pro Woche frei, in der Übungsrealität sieht das jedoch auch mal anders aus.

 

Dass die eFP BG LTU auch politisch von hohem Gewicht ist, zeigen die vielen VIP-Besuche von Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertretern sowie Militärs. Mit über 70 Besuchen in sechs Monaten, bei denen teils Truppe, Material und Liegenschaft präsentiert wird,  ist diese Arbeit zusätzliche belastend.

 

In der Diskussion sprachen wir über das Zusammenspiel mit und die Wahrnehmung der Brigade in der litauischen Bevölkerung, zumal Litauen als “host nation” hier gefragt ist, beispielsweise bezüglich der bisherigen Bereitstellung von Unterkünften. Außerdem wurde der “multinationale Stolperdraht” thematisiert, sowie die deutsche Bürokratie als Indikator für die Brenzligkeit einer Situation genannt. Philipp stand Frage und Antwort zur Multinationalität der Brigade, ihren Chancen und Herausforderungen sowie zum Selbstverständnis und der Einsatzbelastung der Soldatinnen und Soldaten in einer NATO-Einsatztruppe. Wir danken ihm für die spannenden Einblicke und allen Teilnehmenden für die rege Beteiligung.