Bericht Online Seminar: Zukunft der "nuklearen Teilhabe" in Europa

Am 18.02.2021 diskutierten wir mit Dr. Moritz Kütt vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) die Zukunft der sogenannten "nuklearen Teilhabe".

Im rheinland-pfälzischen Büchel sind im Rahmen der sogenannten „nuklearen Teilhabe“ seit den 1950er Jahren US-Atomwaffen stationiert. Die Bundeswehr besitzt Tornado Kampfjets, welche notfalls im Rahmen des NATO-Konzepts in der Lage sind, Atomwaffen zu transportieren und abzuwerfen. Gemeinsam mit Dr. Moritz Kütt, Senior Researcher am IFSH, diskutierten wir die Frage, wie es mit der nuklearen Teilhabe in Europa weitergehen kann. Im Mittelpunkt standen dabei die Fragen welchen militärischen Nutzen und welche Zukunft die in Deutschland stationierten Atomwaffen heute noch haben. Auch die Optionen zur Beendigung der „nuklearen Teilhabe“ bzw. deren Folgen wurden diskutiert. 

 

Das Seminar startete mit einer Umfrage an die Teilnehmenden, inwieweit sie die nukleare Abschreckung als wichtigen Bestandteil europäischer Sicherheit sehen. Zu Kütts Überraschung stimmte die Mehrheit der Teilnehmenden dieser Aussage zu – am Ende des 1,5-stündigen Seminars sollte diese Frage noch einmal gestellt werden. 

 

Zunächst begann Kütt jedoch seinen Vortrag und erläuterte, dass sich die nukleare Teilhabe grundsätzlich in zwei separat zu bewertende Komponenten aufteilt: die technischen Aspekte der nukleare Teilhabe und die politischen Strategien der nuklearen Teilhabe, wobei sein Vortrag sich vor allem auf die technischen Aspekte fokussieren sollte. 

 

Kütt lieferte daran anschließend einen kurzen Abriss über die Geschichte der Stationierung von US-Kernwaffen in Europa, die in den 1950er Jahren startete und zum Ende des Kalten Kriegs etwa 7000 Atomsprengköpfe umfasste. Neben dem Ziel der Abschreckung gegenüber der Sowjetunion war vor allem das Ziel der Nicht-Profileration ausschlaggebend dafür. Heute befinden sich noch etwa 20 amerikanische B-61 Freifallbomben in Deutschland, die in der nächsten Zeit modernisiert werden sollen und die im Zweifelsfall von deutschen Flugzeugen ausgetragen werden würden. Dafür würde in Deutschland derzeit das Flugzeug vom Typ Tornado bereitstehen, was allerdings veraltet ist und in den nächsten Jahren ersetzt werden soll. Welcher neuer Flugzeugtyp dafür beschafft wird, ist eine politische Entscheidung, die noch aussteht und wohl erst nach der Bundestagswahl im September 2021 getroffen werden wird. 

 

Im Anschluss daran widmete sich Kütt durchaus kritisch der NATO-Policy, die einen Ersteinsatz von Kernwaffen explizit nicht ausschließt. Er erläutert dabei, dass die Atombomben in Büchel keine klassischen Zweitschlags-Waffen sind, da es in einem laufenden Kriegsfall wohl keine Möglichkeit mehr gäbe, diese ins feindliche Terrain zu transportieren – im Gegensatz zu Atomwaffen, die Uboote mit sich führen und dementsprechend für einen Zweitschlag geeignet sind. 

 

Im weiteren Verlauf kam Kütt auf die Optionen für die Zukunft der nuklearen Teilhabe zu sprechen. Dabei hält er drei Optionen für prinzipiell möglich:

  1. Deutschland könnte einen unilateralen Beschluss fassen, dass die amerikanischen Kernwaffen aus Deutschland abgezogen werden müssen.
  2. Die NATO-Mitgliedsstaaten fassen einen gemeinsamen Entschluss, dass sie zukünftig auf die Stationierung von Kernwaffen verzichten wollen.
  3. Ein zentrales europäisches Lager für Kernwaffen wird geschaffen.

 

Doch wieso lagern überhaupt US-Atomwaffen in Deutschland? Im letzten Abschnitt seines Vortrags erläuterte Kütt, dass der Besitz von Atomwaffen der NATO zu mehr Verhandlungsmasse (vor allem gegenüber Russland) verhelfen könnte und zu einem erstarkten Zusammenhalt innerhalb der NATO führte. Außerdem habe Deutschland durch die Teilnahme an der nuklearen Teilhabe die Möglichkeit, in der nuklearen Planungsgruppe der NATO Einfluss zu nehmen und mitzudiskutieren. Inwieweit die nukleare Teilhabe tatsächlich zu wirksamer Abschreckung führe, sieht Kütt allerdings durchaus kritisch, da die Einsatzradien der Flugzeuge, die mit Atomwaffen bestückt werden könnten, sehr gering ist und sie Russland (ohne Betankung) nicht erreichen könnten. Auch die Frage, ob es für eine Sicherheitsgarantie vonseiten der USA zwingend eine Stationierung von US-Kernwaffen in Deutschland brauche, sieht Kütt sehr kritisch. 

 

In der folgenden Diskussion wurden verschiedenste Aspekte der nuklearen Teilhabe noch einmal ausführlich diskutiert. Neben der Frage, ob eine wirksame Abschreckung gegenüber Russland heutzutage wieder an Aktualität gewinne, ging es auch darum, welche Rolle die beiden anderen Atommächte in Europa, Frankreich und Großbritannien, spielen und wieso diese eine vertiefte NATO-Integration kritisch sehen. Daneben wurden auch moralische Aspekte der nuklearen Teilhabe angesprochen sowie der jüngst in Kraft getretene Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. 

 

Die Veranstaltung endete damit, dass die Frage vom Beginn des Vortrags, inwieweit die Teilnehmenden die nukleare Abschreckung als wichtigen Bestandteil europäischer Sicherheit sehen, noch einmal gestellt wurde. War es vor dem Vortrag noch die Mehrheit der Teilnehmenden, die dieser Aussage zustimmte, lehnte nun die Mehrheit ab. Ein deutliches Zeichen, dass der kritische Vortrag von Kütt zum Nachdenken angeregt hat.  

 

Wer das Online-Seminar verpasst hat, findet es auch auf unserem YouTube-Kanal: https://youtu.be/WruxIf5qfiw