Veranstaltungsbericht Online-Seminar: Druck auf die brasilianische Demokratie: Bolsonaro, Corona und Menschenrechte

Am 13. April 2021 diskutierten wir mit Dr. Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die aktuellen Probleme der brasilianischen Demokratie. Besonderen Fokus des Online-Seminars stellte die Präsidentschaft des populistischen Jair Bolsonaros, die Beutelung des Landes durch die Covid-19-Pandemie sowie die alarmierende Menschenrechtslage in Brasilien dar.

Dr. Claudia Zilla betonte zu Beginn ihres Vortrages, dass die Präsidentschaft Jair Bolsonaro durchaus demokratische Legitimität besitze. Diese sei jedoch durch das Impeachment gegen seine Vorgängerin Dilma Roussef und die Verhaftung des früheren Präsidenten Lula da Silva überschattet worden. Bolsonaros Wählerschaft setze sich hauptsächlich aus reicheren, besser gebildeten Evangelikalen und wohlhabenderen weißen Männern zusammen, die auf seine Anti-Agenda und die damit verbundenen Exklusionsnarrative ansprangen: Bolsonaro stellte sich seit Beginn eines Wahlkampfes gegen die PT, gegen den Kommunismus, gegen die politische Elite – zu der er selbst gehört. Diese Agenda wurde begleitet von populistischer, rassistischer, frauenfeindlicher, homophober, allgemein gesprochen gewaltverherrlichender Rhetorik. Während seiner Regierung hätten sich die Konflikte sowohl zwischen den Gewalten wie auch zwischen den Staatsebenen verschärft, wo die Gouverneure des föderal organisierten Landes immer wieder von Bolsonaro blockiert werden – so auch im Management der Coronapandemie.
 

Covid-19 trifft Brasilien sowohl im internationalen wie auch im regionalen Vergleich durchaus hart, Infektions- und Sterberate sind hoch. Hinzu kommt, dass die Führung des Landes beim Management der Krise kein gutes Bild abgegeben habe, Präsident wie Außenminister sogar das größte Hindernis darstellten, wie Dr. Zilla erläuterte. Wo Gouverneure der Regionen sich um die Pandemieeindämmung bemühten, seien sie ausgebremst worden. Auch die Konflikte zwischen den Gewalten seien verschärft worden, als Finanzhilfen durch den Kongress gegen den Willen Bolsonaros dessen Blockaden milderten. In Summe attestierte Dr. Zilla dem brasilianischen Covid-Management also eine schwache Performanz: schlecht koordiniert und ineffektiv.
 

In Puncto Menschenrechte stellte Dr. Zilla fest, dass Menschenrechtsverletzungen in Brasilien nicht erst seit der Wahl Bolsonaros stattfinden, sondern vielmehr ein strukturelles Problem zu sein scheinen. Besonders Gewalt gegen Personengruppen wie Persons of Colours (POC), die LGBTQ-Community sowie Frauen seien seit Beginn des Jahrtausends enorm gestiegen. Besonders deutlich geht diese intersektionale Benachteiligung aus einem Vergleich der Lebenserwartung von Transgender- und Cisgender-Personen hervor: Während letztere im Schnitt 75-77 Jahre alt werden, haben erstere lediglich eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 Jahren. Während der Präsidentschaft Bolsonaros habe sich diese Lage noch einmal deutlich verschlechtert, so Dr. Zilla, was zum einen mit seiner menschenverachtenden Rhetorik und Politik zusammenhänge. Hinzu komme eine Liberalisierung des Waffenbesitzes sowie sinkende Fachkompetenz in staatlichen Einrichtungen. MenschenrechtsaktivistInnen erfahren ebenfalls zunehmende Gewalt.
 

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Problematik der Durchdringung des Staatsapparates durch das Militär angesprochen, nicht nur auf höchster verteidigungspolitischer Ebene, sondern auch im politischen Mittelbau in anderen Ressorts. Auch die Themen Umweltpolitik und Indigenenrechte kamen zur Sprache, an denen Bolsonaro ebenso wenig Interesse zeige wie an allgemeinen Menschenrechten. Wir sprachen über Venezuela, Chancen für den freigesprochenen Lula da Silva sowie über die Beziehungen Bolsonaros zu den USA unter Trump wie unter Biden.
 

Wir bedanken uns für die rege Beteiligung der Teilnehmenden sowie die Expertise der Referentin. Alle weiteren Details dieses spannenden Online-Seminars finden sich in der Aufzeichnung auf YouTube.