„Get real“ – Sicherheitspolitik aus erster Hand

Wie begegnet Europa den wachsenden Bedrohungen durch Russland? Welche Rolle spielt Deutschland in der NATO – und was bedeutet Abschreckung im 21. Jahrhundert? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt eines spannenden digitalen Vortrags von Botschafter a. D. Christoph Eichhorn, organisiert vom BSH Trier.

Am 18. Juni 2025 fand eine digitale Veranstaltung des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) Trier mit Botschafter a. D. Christoph Eichhorn statt. Unter dem Titel „Frontline Zukunft – Die EU im Baltikum und das geopolitische Morgen“ sprach Herr Eichhorn über die sicherheitspolitische Lage an der östlichen Grenze der Europäischen Union – mit besonderem Fokus auf das Verhältnis zu Russland.

 

Ein zentrales Thema war die außenpolitische Positionierung Deutschlands und die internationale Wahrnehmung der Bundesrepublik. Botschafter Eichhorn betonte die Veränderungen in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik unter der aktuellen Bundesregierung: Im Gegensatz zu früheren Regierungen strebe man eine klare Anpassung an die sicherheitspolitischen Realitäten Russlands und der NATO an. Stärke sei eine Grundvoraussetzung für Frieden – man müsse sich verteidigen können, um nicht verteidigen zu müssen (Prinzip der Abschreckung). In diesem Zusammenhang verwies Eichhorn auch auf den NATO-Gipfel in Den Haag und die Diskussion um eine Zielmarke von 5 % des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben.

 

Ein weiteres zentrales Thema war die kritische Abhängigkeit Deutschlands in den letzten Jahrzehnten – durch das dreifache Outsourcing: Sicherheit an die USA, Energie an Russland und wirtschaftliches Wachstum an China. Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Spannungen sei dieses Modell nicht länger tragfähig. Europa – insbesondere Deutschland – müsse unabhängiger und resilienter werden, um seine Handlungsfähigkeit zu sichern.

 

Große Aufmerksamkeit widmete Herr Eichhorn dem Bereich des hybriden Krieges. Er griff dabei die aus dem Kalten Krieg stammende Formel „SpiSaZer“ (Spionage, Sabotage, Zersetzung) auf, die heute aktueller sei denn je. Ziel russischer Strategien sei es, das Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen zu untergraben, Ängste in der Bevölkerung zu schüren – etwa durch gezielte Stromausfälle oder GPS-Störungen im Luftraum über Tallinn – sowie demokratische Prozesse zu manipulieren. Als Beispiel nannte Eichhorn das Auslösen von Feueralarmen in Wahllokalen mit auffällig hohen Ergebnissen für bestimmte Kandidaten. Gleichzeitig sei eine gezielte Desinformation über Fake News und die Diskreditierung klassischer Medien (z.B. durch geklonte Webseiten) zu beobachten. Auch kritische Infrastrukturen wie Stromnetze und Eisenbahnlinien gerieten zunehmend ins Visier von Sabotageakten. All dies sei Bestandteil der neuen russischen Militärdoktrin, die hybriden Methoden den gleichen Stellenwert einräume wie der konventionellen Aufrüstung.

 

Zum Abschluss seines Vortrags ging Botschafter Eichhorn auf ein Gedankenexperiment aus Carlo Masalas Buch „Wenn Russland gewinnt“ ein. Es kreist um den Grenzort Narva in Estland und stellt die Frage, wie die NATO auf einen hybriden Angriff reagieren würde. Das Szenario zeigt: Sollte es der NATO nicht gelingen, zu einer klaren und geeinten politischen Haltung zu finden, stünde ihr politisches Überleben auf dem Spiel.

 

Eindringlich schloss Herr Eichhorn mit dem Appell: „Get real“. Eine Mahnung an alle Teilnehmenden, die eigene Freiheit nicht als Selbstverständlichkeit hinzunehmen – und zugleich als Aufruf, die damit verbundenen Gefahren nicht zu verdrängen, sondern entschlossen zu begegnen.

 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen den Vortrag mit großem Interesse auf, welches sich auch in der hohen Beteiligung und dem Wunsch nach einer Fortsetzung solcher Formate widerspiegelte.