Nordkorea-Vortrag von Nicolai Sprekels (SARAM e.V.): Frieden nicht ohne Menschenrechte

Nicolai Sprekels von der NGO „SARAM – Menschen für Nordkorea e.V.“ gab am 02.05.2018 den Zuhörerinnen und Zuhörern einen Einblick in die nordkoreanische Gesellschaft und den Arbeitsalltag einer Menschenrechtsorganisation in Deutschland.

Julian Klose machte bei der Begrüßung des Publikums auf die vielfältigen Möglichkeiten zum Mitmachen und Mitgestalten bei der ASH aufmerksam. (©: ASH)

Sprekels unterstützte seinen Vortrag mit zahlreichen Fotographien aus dem nordkoreanischen Alltagsleben. (©: ASH)

Referent Nicolai Sprekels warnt: "Ein Krieg hätte katastrophale Auswirkungen in der Region." (©: ASH)

SARAM ist heute Teil eines Netzwerks von 40 Organisationen aus der ganzen Welt, vor allem aber aus Südkorea. Die Arbeit zielt vor allem auf Aufklärung über die Zustände in dem abgeschotteten Land ab, etwa über die „Konzentrationslager“. Die Gruppe macht aber auch auf Probleme in Europa aufmerksam, etwa die Ausbeutung nordkoreanischer Arbeiter zur Devisenbeschaffung für das Regime. Mit der ASH sprach Herr Sprekels über die Situation in Nordkorea.

 

Ihr Vortrag bei uns lautete „Nordkorea – Von wegen mysteriös und unbekannt“. Wie kommen Sie zu diesem paradoxen Statement?

 

Es ist zweifelslos sehr, sehr schwer Informationen aus Nordkorea zu bekommen oder Informationen über dieses Land zu verifizieren. Dort herrscht schließlich eine recht bizarre politische Kultur. Was Nordkorea angeht, war die Berichterstattung in den letzten Jahren nicht sehr gut. Die Presse kannte da kaum Mechanismen, wie man Meldungen über Nordkorea überprüfen kann. Da sprach man, wenn es um Nordkorea geht, von „der letzten kommunistischen Diktatur der Welt“. Man kann sehr gut darüber diskutieren und streiten, ob Nordkorea überhaupt sozialistisch oder kommunistisch genannt werden kann. Ich bin der Meinung, dass das nicht zutrifft. Und schließlich war es natürlich auch durch die Abschottung, die dieses Land betreibt so, dass sich dann so feste Worthülsen etablierten, wie: „Das mysteriöse, abgeschottete Land“, „Wir können darüber gar nichts wissen“. Aber das ist nicht richtig! Ja, es ist alles sehr schwer. Aber man kann sehr wohl ziemlich genau über Nordkorea Bescheid wissen, wenn man versteht wie man nachfragen muss. Es ist sehr, sehr aufwendig. Man kann das auch von einem Journalisten nicht erwarten, der einen Artikel über Nordkorea schreibt und sich damit jetzt vielleicht noch nicht so sehr damit beschäftigt hat. Deshalb sagen wir: „Informationen sind möglich, es ist nicht unbekannt und mysteriös“. Das ist auch eine gern benutzte Ausrede in der Politik: „Wir können nichts tun, denn wir wissen ja nicht“. Das ist bequem, aber halt nichtzutreffend.

 

Wie sieht denn der wirkliche Alltag für Menschen in Nordkorea aus?

 

Es gibt in Nordkorea sehr unterschiedliche Lebenssituationen. Und das hat sich in den letzten Jahren auch immer drastischer geändert, wie unterschiedlich die Menschen leben. Die Gesellschaft in Nordkorea ist in verschiedene Kasten unterteilt. Es gibt drei Hauptklassen, die dann nochmal in 51 Unterkategorien sortiert sind. Die Hauptklassen bestehen aus der loyal angesehenen, treuen Bevölkerung, aus der wankenden Mittelschicht und aus der wirklich „feindlichen“ Klasse, die als illoyal angesehen wird. Jetzt muss man verstehen, dass jeder Mensch in die Klasse hineingeboren wird, in der er ist. Die Zugehörigkeit zu dieser Klasse entscheidet im Prinzip über alle Aspekte des Lebens. Die meisten Nordkoreaner, die schwankende Mittel- und Unterschicht, leben im ländlichen Raum oder auch im Grenzgebiet zu China in sehr ärmlichen Verhältnissen. Die Versorgungslage ist heute immer noch sehr, sehr schlecht. Es entsteht da gerne das Bild, auch durch einige Experten, dass sich da vieles sehr gebessert hätte. Das liegt ganz einfach daran, dass wenn man eingeladen nach Nordkorea fährt, man auf einer festen Route vom Regime gezeigt bekommt, wieviel besser alles wird. Aber das ist mit sehr viel Vorsicht zu genießen. In Pjöngjang hat sich jetzt eine reiche Oberschicht gebildet. Da leben die hohen Kader, die absolut höchsten Klassen und es gibt inzwischen eigentlich eine Menge Sachen zu kaufen, die man sich kaum vorstellen könnte. Da gibt es Leute, die sehr viel Geld haben und mit Bündeln von 100-Dollarscheinen einkaufen. Aber das trifft halt eben nicht auf das Gros der Bevölkerung zu.

 

Was haben alle Nordkoreaner Ihrer Erfahrung nach gemeinsam?

 

Für alle gilt eigentlich, dass der Alltag rund um die Uhr geprägt ist von ideologischer Indoktrination durch das Regime. Und das ist auch eine der Erklärungen, warum dieser Staat funktioniert. Man wird von klein auf mit der relativ komplexen Ideologie großgezogen. Ihr zentraler Bestandteil ist, dass der jeweilige aktuelle Führer und die beiden verstorbenen Führer mehr als Menschen sind. Ich frage immer Nordkoreaner, ob das Götter sind in deren Augen. Dann sagen sie immer: „Nein, nein“, also keine Götter. Aber sie stehen schon deutlich über normalen Menschen und haben „besondere“ Fähigkeiten. Und dieser quasi-religiöse Personenkult wird so regelmäßig in die Köpfe gehämmert, dass man es, selbst bei Leuten, die seit ein, zwei Jahren geflohen sind, häufig noch tief verankert vorfindet. Die können das kaum loswerden. Und das ist für den Alltag ein ganz entscheidendes Element. Viele Nordkoreaner lernen immer wieder die aktuellen Reden der Führer auswendig. Man muss seine Verstöße schriftlich festhalten. Das wird dann in Gruppensitzungen, sogenannten Selbstkritiksitzungen, verarbeitet. Und abgesehen von dieser vielen ideologischen Beeinflussung muss ich jederzeit was immer von mir verlangt wird für den Staat tun. Da gibt es unheimlich viele Arbeitsdiensteinsätze, um die Gegend schöner zu machen oder Baumaterial zu sortieren. Oder man arbeitet als Student gelegentlich am Bau von irgendwelchen Hochhäusern mit. Und man versucht natürlich irgendwie sein Leben zu sichern, etwa durch illegalen Handel, oder ähnliches. Also man versucht irgendwie Wege zu finden, wie man an, Wohlstand ist jetzt hier wirklich das falsche Wort... eine wenig wirtschaftliche Sicherheit kommt.

 

Der Interkorean-Summit hat gerade letzte Woche stattgefunden. Wird jetzt alles gut?

 

Es ist prinzipiell gut keine Prognosen über die Entwicklung in Bezug auf Nordkorea zu machen, viele tun das. Und in 90 Prozent der Fälle sieht man nach kurzer Zeit, das war eine falsche Prognose (schmunzelt). Weil Nordkorea sich recht unvorhersehbar verhält. Nordkorea ist nicht, wie häufig betitelt, ein merkwürdiger verschrobener Staat, der von einem Irren gelenkt wird, sondern strategisch wirklich relativ geschickt. Wann immer man zurückguckt, wie sie in der Vergangenheit mit Situationen und Kontakt zu anderen umgegangen sind, muss man sagen: Da hat eine gute und funktionierende Strategie dahintergesteckt, damit Nordkorea sein eigenes Ziel durchsetzen konnte.

 

Was hat sich dann jetzt verändert?

 

Es gab in letzter Zeit eine Eskalationsspirale, die an sich nicht neu ist. Das war eigentlich so eine Art jährlicher Zyklus, dass Anfang des Jahres, bei Beginn der koreanisch-amerikanischen Truppenmanöver, Nordkorea darauf sehr empfindlich reagiert. Dann gibt es eine Drohspirale, Kriegsdrohungen usw. Das ist dann im Sommer auch wieder vorbei und dann wartet man bis zum nächsten Jahr, dann geht es wieder los. Im letzten Jahr ist das anders ausgefallen. Die Raketentests, die Nordkorea mit den ICBMs gemacht hat, zeigen, dass sie sehr erfolgreich ein hohes Bedrohungspotential aufgebaut haben. Die Atomtests zeigen, dass sie inzwischen deutlich weiter sind im Bau dieser Waffen. Es wird schon langsam wirklich sehr, sehr gefährlich. Die Initiative Südkoreas jetzt dafür zu sorgen, dass es eine Annäherung, einen Friedensprozess gibt, ist unheimlich zu begrüßen. Bei dem Interkorean-Summit wurde ja jetzt offiziell das Ende des Krieges beschlossen, der eigentlich bis zu diesem Zeitpunkt vom 27. April 2018 seit 1953 noch andauerte. Eine neue kriegerische Auseinandersetzung hätte katastrophale Folgen. So erfreulich diese Entwicklung aber auch ist, ich bin der Meinung, dass man Nordkorea nicht trauen darf.

 

Warum nicht?

 

Die Nordkoreaner sind nicht irgendwie das ultimative Böse, wie sie oft hingestellt werden. Ihr Hauptinteresse ist es immer gewesen und ich gehe davon aus, dass sich daran nichts geändert hat und nichts ändern wird, ihr Regime, so wie es ist, zu halten und zu schützen. Und was immer dafür nötig ist, haben sie in der Vergangenheit dafür getan. Und im Moment ist dieser Friedensprozess natürlich für Nordkorea auch durchaus wichtig. Ein Krieg hätte katastrophale Auswirkungen in der Region. Also müssen wir abwarten, was Nordkorea jetzt tun wird und was sie wirklich damit erreichen wollen.

 

Was könnte Ihrer Einschätzung nach jetzt passieren?

 

Es ist durchaus vorstellbar, dass sie wirklich versuchen jetzt ihre Existenz durch einen Friedensprozess abzusichern. Den Prozess würden sie dann wahrscheinlich solange wie möglich erstmal hinauszögern und verschleppen und dafür sorgen, dass sie auf keinen Fall irgendwo bedroht werden. Nordkorea hat schon öfter angeboten, irgendwelche positiven Maßnahmen einzuleiten. Im Endeffekt ist das dann nie passiert, aber man hat erstmal ein halbes Jahr daran verhandelt. Nordkorea hat sehr geschickt etwa wirtschaftliche Hilfe und Nahrungsmittelhilfen von Staaten bekommen, dafür Gegenleistung versprochen und sich nicht darangehalten. Das ist ein ganz normales Verfahren der nordkoreanischen Außenpolitik. Allerdings haben auch andere Staaten ihr Wort nicht gegenüber Nordkorea gehalten. Wenn es wirklich mehr Austausch gibt zwischen Süd- und Nordkorea, ist das eine gute Entwicklung.

 

Welche Gefahren sehen Sie?

 

Die Gefahr, die ich jetzt in Bezug auf unsere Arbeit dabei sehe, ist die Menschenrechtslage, welche verheerend-katastrophal ist. Ich spreche etwa von den Lagern, wo Dissidenten lebenslang inhaftiert werden. Die Lager kann man völlig unpolemisch mit dem Begriff „Konzentrationslager“ belegen, weil es das ist, was da passiert. Da werden politisch Unerwünschte ermordet. Schätzungen zufolge, die ich für seriös halte, handelt es sich um 100 000 bis 120 000 Menschen. Diese Lager gibt es natürlich weiter und das ist etwas, wo Handlungsbedarf besteht. Seit 70 Jahren schaut die Welt nur zu. Und wird natürlich um der Staatsraison und dem Frieden Willen nur, so er denn nun wirklich kommt, die Menschenrechtsproblematik immer leicht vergessen. Und das wäre ein Problem, denn die Menschenrechtslage ist verknüpft mit dem Resultat eines solchen Friedensprozesses. Solange der Staat so mit seiner eigenen Bevölkerung umgeht, bleibt das ein sehr unsicheres Land.

 

Das Gespräch führte Julian Klose. Bearbeitet von Julian Klose und Maximilian Schuh.