Streitkräfteseminar 2016: Sicherheitspolitik als gesellschaftliche Aufgabe

Die Herausforderungen, denen sich die deutsche sicherheitspolitische Community dieser Tage stellen muss, scheinen so groß und zahlreich zu sein, wie seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges nicht mehr. Aus der Bonner Republik ist eine Berliner geworden, die sich mehreren, sehr unterschiedlichen und weit auseinander liegenden sicherheitspolitischen Herausforderungen gleichzeitig stellen muss: Die hybride Kriegsführung Russlands stellt bewährte Reaktions- und Kommunikationsmuster der NATO in Frage. Der Zerfall des Arabischen Raumes bringt die Europäische Union scheinbar zwischen die Skylla der Kooperation mit Autokraten und das Charybdis scheiternder Demokratisierungen und ihrer Folgen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Streitkräfteseminars. (Foto: Zentrum Innere Führung)

 

Sicherheitspolitischer Nachwuchs für die Welt von morgen

 

Umso erstrebenswerter ist es für demokratisch legitimierte Streitkräfte, für eine Parlamentsarmee, mit dem Nachwuchs der Sicherheitspolitik im eigenen Land in engem und konstruktivem Austausch zu stehen. Zwanzig Teilnehmer des so genannten “Streitkräfteseminars” des Bundesverbands Sicherheitspolitik an Hochschulen durften diesen Austausch vom 22.-26. Februar im Zentrum Innere Führung in Koblenz erleben. Unter dem Titel “Sicherheitspolitik & Innere Führung” wurden sowohl die innere Verfasstheit als auch die äußeren Handlungsoptionen der Bundeswehr und der deutschen Sicherheitspolitik einer genauen Prüfung unterzogen.

Im Zentrum standen dabei der Weißbuchprozess und das Konzept “Innere Führung” als Bindeglieder zwischen den Grundlinien der Sicherheitspolitik, der Legitimation von Auslandseinsätzen, dem Bürgerdialog der Parlamentsarmee und den Herausforderungen an die Bundeswehr und die Bündnispartner Deutschlands in Osteuropa, Nahost und Afrika.

 

Ein positiver Sonderweg in der militärischen Führung

 

Nach einer Einführung in die Grundlinien deutscher Sicherheitspolitik sowie in das Konzept Innere Führung wurden zunächst die rechtlichen Aspekte von Auslandseinsätzen und die Grundlagen der Menschenführung - in Auslandseinsätzen wie in Deutschland - vorgestellt. Eng damit verbunden war die Frage, wie Auslandseinsätze, gegenüber der Truppe, als auch in der Bevölkerung, legitimiert werden. Dabei zeigte sich, dass die Innere Führung, als Antithese zum menschenverachtenden System im Dritten Reich geschaffen, über die Jahrzehnte zu einer Kultur der Führung innerhalb der Bundeswehr gefestigt hat, die sich deutlich von jener der Bündnispartner abhebt und den Anspruch, nicht nur eine Parlamentsarmee, sondern auch eine Armee von Staatsbürgern in Uniform zu sein, besonders gerecht wird.

Dies hat jedoch wiederum zur Folge, dass eine besondere Sorgfalt bei der Legitimation - rechtlich wie politisch - von Auslandseinsätzen, in der Truppe als auch gegenüber der Bevölkerung, notwendig ist.

 

Und ein bürgernaher Sonderweg in der Formulierung des neuen Weißbuchs

 

Hier verknüpft die Bürgerbeteiligung des Weißbuchprozesses die Innere Führung und  die Grundlinien der Sicherheitspolitik mit den Sicherheitspolitischen Herausforderungen: Mit vielen verschiedenen Beteiligten aus dem Zentrum wurden Herausforderungen wie Hybride Kriegsführung und die Neuausrichtung der NATO, das Krisengebiet Nahost und die Herausforderung Staatsschwäche diskutiert. Besonders der Workshop zur Szenarienbildung Nahost fand viel Zuspruch, vermittelte er den Teilnehmern doch analytische Methoden, die ihr sicherheitspolitisches Denken auch themenunabhängig verbessern. Zu einer verantwortungsvollen Sicherheitspolitik gehört jedoch auch, so wurde deutlich, über den Einsatz hinaus zu denken. Mit Mitarbeitern des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr wurde intensiv über Verwundung, Tod, PTBS, Resilienz und Hilfe für die sichtbaren und unsichtbaren menschlichen Konsequenzen eines Auslandseinsatzes diskutiert.

Erkennen von Gefahren für die äußere Sicherheit, Legitimation eines Einsatzes, Durchführung und Nachsorge — das Seminar spiegelte den Zyklus der Bewältigung einer sicherheitspolitischen Herausforderung wieder und führte damit die Teilnehmer intensiv und informativ an ein ganzheitliches Denken über Sicherheitspolitik, Auslandseinsätze und ihr Bindeglieder, das Weißbuch und die Innere Führung heran.

 

Aufgrund der großen Nachfrage beim ersten Streitkräfteseminar im Jahr 2016, hat der Bundesvorstand des BSH beschlossen, dieses Jahr noch ein zweites Seminar mit dem Zentrum Innere Führung auszurichten. Dieses wird vom 21. bis 25. November 2016 in Koblenz stattfinden.