"Die Welt aus den Fugen? Was Deutschland und Europa tun müssen."

Botschafter a.D. Dr. Joachim Rücker spricht vor Studenten der Goethe-Universität.

Der ehemalige Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, stellte seinerzeit fest: „Die Welt ist aus den Fugen“. Dr. Joachim Rücker griff dieses Zitat in seinem Vortrag am 11.12. 2019 bei FAUST an der Goethe Universität Frankfurt auf und füllte es zunächst einmal mit Inhalt. Der Rückzug der USA aus der internationalen Politik und das daraus entstehende Machtvakuum, die Legitimitätskrise internationaler Organisationen und der Aufstieg des Populismus sind nur einige Beispiele, die diese Aussage untermauern. Dr. Rücker konstatiert, dass die Lage vor rund 25 Jahren noch eine ganz andere war. Die Zeit unmittelbar nach dem Mauerfall, anlässlich dessen sogar das „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama prognostiziert wurde, seien geprägt gewesen durch universale Werte, durch Demokratie und freie Marktwirtschaft. Westliche Staaten bejahten Multilateralismus und internationale Zusammenarbeit. Freiheit erschien, so Rücker, nicht nur als etwas Theoretisches, “doch die Idylle trog.”

 

Dr. Rücker, seinerseits ehemaliger Botschafter und Präsident des UN-Menschenrechtsrates, benennt in der Folge zwei Kategorien von Konflikten, die seit den 1990er Jahren entscheidenden Einfluss auf die internationale Politik nehmen: Konflikte im Zusammenhang mit dem Zerfall der Sowjetunion sowie Bürgerkriege in autoritär regierten Staaten. Die internationale Staatengemeinschaft, und insbesondere die UN, habe zwar mithilfe der Millenniums-Reformen einschließlich des R2P-Prinzips versucht, eine Antwort auf die Änderungen der Zeit zu finden, sei damit jedoch in schwieriges Fahrwasser gekommen. Wesentlich beeinflusst durch die Finanzkrise 2008 sei es (zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung) zu einer Legitimitätskrise internationaler Organisationen gekommen, die wiederum von Populisten aufgegriffen und schamlos ausgenutzt werde. Dies sei zwar, u.a. mit Blick auf die hohe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen und den bestehenden demokratischen Korrekturmechanismen, entschieden zurückzuweisen, jedoch warnt Dr. Rücker auch davor, dass die „Stärke des Rechts“ durch „das Recht des Stärkeren“ ersetzt würde, sollten jene Parteien die Macht erlangen. So dürfe man diese Entwicklung nicht unbeachtet lassen. Vielmehr müsse man sich mit den Populisten aktiv auseinandersetzen und gleichzeitig alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um internationale Organisationen nachhaltig zu stärken und die Abkehr vom Multilateralismus sowie den Prozess der Re-Nationalisierung aufzuhalten. Dazu müsse die Politik gesellschaftlich vermitteln, dass internationale Probleme nicht alleine zu lösen seien und man diesen vielmehr in Form “offener Gesellschaften” begegnen solle.

 

Mit Blick auf Deutschlands Rolle in der internationalen Politik konstatiert Dr. Rücker zunächst, dass „Außenpolitik mehr eine Kunst, als eine Wissenschaft“ sei, bei der die Balance zwischen Werten und Interessen gefunden werden müsse. Daraufhin leitet er drei außenpolitische Prioritäten Deutschlands ab: Deutschlands Pflicht, die UN weiterhin als „zentralen Anker“ einer globalen Ordnung zu stärken, das Verhältnis zu den USA als wichtigsten globalen Partner aufrecht zu erhalten und vor allem die Europäische Union als „Friedens- und Freiheitsprojekt“ weiter zu stärken. Dabei sollten aus Sicht Dr. Rückers die Reformvorschläge des französischen Präsidenten aus dem Jahr 2017 “mehr Beachtung finden”. Konkret ginge es um eine gemeinsame Grenz-, Asyl- und Migrationspolitik, eine gemeinsame Verteidigungs- und Klimapolitik und ebenso ein gemeinsames Vorgehen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, bspw. bei der Bekämpfung von Fluchtursachen.

 

Der Vortrag mündete schließlich in einer thematisch breiten und konstruktiven Diskussion. Dabei ging es u.a. um die sicherheitspolitische Rolle Russlands in Europa, die Bewertung der EU-Nachbarschaftspolitik unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen in Südosteuropa sowie Deutschlands Potential in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik. So stellt Dr. Rücker u.a. klar, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen dürfe und alles Notwendige unternommen werden müsse, um den Beitrittskandidaten, die die vorgegebenen Kriterien erfüllen, auch eine ernsthafte Perspektive zu bieten. Gleichzeitig betont er, “wir müssen Stabilität exportieren, um nicht Instabilität zu importieren!“ Mit Blick auf das zerrüttete Verhältnis zu Russland fügt er an, dass “eine klare Haltung in der Sache, aber auch ein ständiger Dialog” notwendig seien, um die Beziehung in ruhigeres Fahrwasser zu überführen.

 

Der Abend endete mit einem Weinempfang und angeregtem Austausch in ungezwungener Atmosphäre.