Was muss sicherheitspolitische Bildung heutzutage leisten können, Herr Generalinspekteur?

Und wie vermittelt man sicherheitspolitische Themen insbesondere den jügeren Generationen, denen ja recht regelmäßig attestiert wird, sich primär für die Rettung des Weltklimas zu interessieren? Wir haben mal nachgefragt.

 

 

BSH: Herr General Zorn, als Generalinspekteur der Bundeswehr thematisieren Sie öffentlich sicherheitspolitische Themen in einer Vielzahl verschiedener Kontexte. Als studentischer Verband interessiert uns dabei natürlich, wie oft Sie mit Studierenden zu tun haben und welche Erfahrungen Sie dabei mitgenommen haben.

 

Zorn: Ich habe die Veranstaltung mit dem BSH und der RWTH Aachen zum Thema Desinformation seinerzeit in Aachen sehr geschätzt, sowohl die große Diskussion in der Aula, als auch im kleineren Kreis mit Ihren Mitgliedern. Das hat mir viel Freude gemacht und das war für mich tatsächlich der Initialpunkt, immer wieder speziell auf studentische Organisationen und Veranstaltungen zu achten. Auch bei der Münchener Sicherheitskonferenz treffe ich jedes Jahr Studentinnen und Studenten unserer Hochschulen.In diesen und anderen Gesprächen stelle ich immer wieder fest: Junge Menschen interessieren sich sehr wohl für Sicherheitspolitik. Sie nähern sich dem Thema aus einem anderen Blickwinkel. Meine Beobachtung ist, dass Sicherheitspolitik oftmals in stark eingerahmten Diskussionsforen behandelt wird, also innerhalb der “sicherheitspolitischen Community” und unter Fachleuten. Das kann mitunter einen etwas exklusiven Charakter bekommen und dazu führen, dass die Einbindung jüngerer, oftmals noch studentischer Interessierter in diesem Themenbereich erschwert wird. Ich halte das für problematisch, weil wir den sicherheitspolitischen Diskurs in die Breite der Gesellschaft bringen müssen und dafür braucht es die aktive Beteiligung junger Menschen. Sicherheitspolitik muss greifbar sein. Erklärt an konkreten Beispielen, unter Einbezug aller relevanten Themenfelder, müssen wir uns fragen: Wie wirkt sich ein bestimmter Aspekt auf die sicherheitspolitische Praxis aus? Welche Implikationen können beispielsweise Klima oder Migration haben?

 

BSH: Im Vergleich zu vergangenen Jahren interessieren sich junge Menschen nicht nur vermehrt für Sicherheitspolitik, es werden auch Positionen in einem Maße unterstützt, wie das vor einigen Jahren noch nicht der Fall war; beispielsweise, dass Deutschland sich stärker engagieren müsse, im Zweifel im Rahmen von militärischen Auslandseinsätzen. Woher kommt das?

 

Zorn: Ihre Kommilitonen wissen, dass wir nicht alleine auf einer Insel leben. Wir sind global vernetzt. Cyber- und IT-Sicherheit sowie Klimaschutz machen nicht vor Landesgrenzen halt. Themen, die gerade in Ihrer Altersklasse ungemein stark besetzt sind. Die junge Generation erkennt, welche Chancen und Risiken in diesen Themenkomplexen stecken sowie deren sicherheitspolitische Relevanz. Aus militärischer Sicht muss man sich die Frage stellen, wie man solchen Herausforderungen begegnet. Neben den klassischen Teilstreitkräften braucht man entsprechende Fähigkeiten, um beispielsweise Cyber Angriffe auf kritische Infrastrukturen abzuwehren. Wenn wie beispielsweise bei der jüngsten Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz plötzlich das Handynetz zusammenbricht, kein Internet mehr funktioniert, der Strom mehrere Tage ausfällt, der Informationsfluss versagt und es in Schlagzeilen heißt, dass 1300 Menschen vermisst werden, dann merkt man plötzlich, welche Relevanz dies hat und wie abhängig wir jeden Tag von solchen Technologien sind.

 

BSH: Da wir gerade beim Thema Umwelt sind: Was sind Ihrer Erfahrungen nach Themen, mit denen man junge Menschen sicherheitspolitisch erreicht?

 

Zorn: Was ich schon ansprach, ist sicherlich die Rolle des Klimawandels und dessen Konsequenzen für sicherheitspolitisches Handeln und andere Politikfelder. Die Bilder der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind uns allen bewusst und der Wiederaufbau wird Jahre dauern. Die Bundeswehr hat mit der Evakuierungsoperation aus Afghanistan heraus gerade einen schwierigen Einsatz abgeschlossen. Die Bilder von Frauen, Männern und Kindern, die von jetzt auf gleich alles zurückgelassen haben, um ihre Heimat zu verlassen, haben uns alle schwer berührt. Migration ist weder eine militärische Bedrohung, noch primär ein militärisches Betätigungsfeld, sondern eine Aufgabe der zivilen Krisenprävention. Dennoch bringt sie wie zuletzt in Kabul, aber auch im Rahmen des IRINI-Mandates [Militäroperation der Europäischen Union zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen Libyen – Anm. d. Redaktion] einen militärischen Einsatz mit sich. Dabei kann das Militär eine unterstützende Funktion bei der zivilen Krisenprävention darstellen. Themen wie Umwelt, Migration oder Cyber-IT haben eine sicherheitspolitische Komponente und sind gleichzeitig in Ihrer Altersklasse stark verankert. Ich glaube es ist sinnvoll, dass etablierte Experten auf die jüngere Generation zugehen und ihre Ansichten sowie Erfahrungen einbringen. Allerdings ist das keine Einbahnstraße: Beide Generationen müssen mehr in den Diskurs eintreten.

 

BSH: Als Generalinspekteur suchen Sie vermehrt die Öffentlichkeit, auch im Rahmen der sicherheitspolitischen Bildung und des dazugehörigen gegenseitigen Austausches. Welchen Stellenwert hat sicherheitspolitische Bildung in ihrem Aufgabenportfolio als Generalinspekteur?

 

Zorn: Politische Bildung ist fester Bestandteil der Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten. Als Parlamentsarmee ist es wesentlich, dass unser Personal die sicherheitspolitischen Zusammenhänge kennt und versteht, die zum Einsatz der Bundeswehr führen. Daneben ist die Einbindung Deutschlands in die großen Organisationen, wie UN, NATO, EU und OSZE ein Schwerpunktthema. Ein Bereich, der auch meine Arbeit maßgeblich mitbestimmt. Hinsichtlich der sicherheitspolitischen Weiterbildung gibt es unter anderem mit der BAKS, der SWP oder der DGAP unterschiedliche Kooperationen. Mein großes Petitum ist immer wieder, dass die sicherheitspolitische Community verjüngt wird. Deswegen ist sicherheitspolitische Bildung mit und unter Studierenden so wichtig. Wir müssen es schaffen, jüngere Menschen stärker einzubeziehen, Ihr Verband leistet dazu einen wertvollen Beitrag. Gleichzeitig ist das auch ein Thema für unsere Reservistinnen und Reservisten, auch hier müssen wir junge Menschen gewinnen.

 

BSH: Seit der Aussetzung der Wehrpflicht müssen sich junge Menschen nicht mehr zwangsweise mit der Bundeswehr und sicherheitspolitischen Thematiken beschäftigen. Dennoch interessieren sich immer mehr junge Menschen für Sicherheitspolitik. Wenn wir uns eine junge Abiturientin vorstellen, die sich für Politik und internationale Verknüpfungen interessiert, welchen Rat würden Sie ihr für ein mögliches Studium geben?

 

Zorn: Mit meinen beiden bereits berufstätigen Kindern habe ich lange Diskussionen geführt, wie speziell oder allgemein ein Studium sein sollte. Während ich beobachte, dass es zunehmend fachspezifische Bachelorstudiengänge gibt, favorisiere ich es, wenn zu Beginn erstmal Methodenkenntnisse vermittelt und der allgemeine Rahmen abgesteckt werden. Insofern bin ich von den klassischen Politikwissenschaften gar nicht so weit entfernt. Spätere Spezialisierungen sind wichtig. Dazu kommt die Möglichkeit eines zweiten Masters und der Promotion. Ich würde immer etwas wählen, was eine gesellschaftspolitische, zivile Akzeptanz hat. Denn ich erlebe bei uns in Deutschland unverändert, dass Sie sofort in eine bestimmte Kategorie eingeordnet werden, wenn Sie im Studium militärisch-assoziierte Themen behandeln. Mein Rat ist daher: Steigen Sie erst einmal breit ein, machen Sie sich ein Bild und dann können Dinge wie Konflikt- oder Krisenforschung interessante Vertiefungsfelder sein. Grundsätzlich denke ich, dass Sicherheitspolitik nicht nur rein militärisch, sondern auch stark im Kontext mit dem Auswärtigen Amt, der Entwicklungszusammenarbeit sowie Konfliktforschung und -vermeidung zu betrachten ist.

 

BSH: Dann müsste natürlich dort auch in den schon bestehenden Fächern die Sicherheitspolitik stärker verankert werden. Wenn wir uns Sie, Herr General, als Dozenten an einer Hochschule zu einem Seminar “Einführung in die deutsche Sicherheitspolitik” vorstellen, was ist drin? Wie wäre Ihr Seminar gestaltet? Was muss sicherheitspolitische Bildung eigentlich leisten können?

 

Zorn: Ich würde Sicherheitspolitik immer erstmal global beginnen. Zunächst die globalen Herausforderungen beleuchten und damit auch die wirtschafts- und sicherheitspolitischen Abhängigkeiten, die speziell für Deutschland gelten. Dann würde ich sofort in die Organisationen hineingehen, die am Ende Sicherheitspolitik verantworten. Das ist beinahe schon die kleine DNA Deutschlands, da wir uns selbst immer sicherheitspolitisch im Kontext von internationalen Organisationen verorten. Multilateralismus ist für uns das prägende Prinzip in der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik. Anschließend würde ich die aktuellen Krisenherde analysieren. Wo sind die sicherheitspolitischen Krisengebiete? Wie gehen wir damit um? Über diesen Weg würde ich die internationalen Kooperationen, Organisationen sowie deren Zielsetzungen und Durchschlagskraft sowie die Möglichkeit der Zusammenarbeit erschließen. Dieser multilaterale Ansatz ist für mich ganz wichtig. Gleichzeitig würde ich nicht als allererstes die NATO, sondern erstmal die anderen Organisationen thematisieren, weil diese stärker unseren ressortübergreifenden Ansatz repräsentieren und helfen, Sicherheitspolitik nicht ausschließlich militärisch zu verstehen. Ich würde herausarbeiten, dass die NATO ein politisches Bündnis ist. Anschließend würde ich die Europäische Union aufgreifen, um die Komplementarität von NATO und EU zu beleuchten. Was steckt hinter der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, welches sind ihre Stärken und welche Herausforderungen bestehen? Am Ende würde ich gerne diskutieren, welche Interessen Deutschland in diesem Kontext hat. Methodisch würde ich mit einer Keynote starten. Außerdem bin ich großer Fan von konzentrierten Paneldiskussionen. Für das studentische Arbeiten würde ich Workshops bilden, die jeweils von Expertinnen und Experten geleitet würden. Am Schluss gibt es dann eine Art Panel, auf dem die Ergebnisse zusammengeführt werden und kritisch diskutiert werden.

Ich mag kontroverse Diskussion. Spannend war in diesem Zusammenhang die Erfahrung, bei Ihnen mit 20 bis 30 interessierten und gut vorbereiteten Studierenden zu diskutieren, die hinterher zusätzlich darüber berichten wollten. Dadurch wurde der Raum, in dem die Arbeitsergebnisse vorgestellt wurden, breiter. Dazu kommt die Frage, wie die vielen Ergebnisse an noch mehr Menschen, etwa durch die Nutzung sozialer Medien, kommuniziert werden können. Multiplikatoren schaffen, um Reichweite zu generieren: Das fand ich persönlich eine super Idee, die Sie entwickelt haben.

 

BSH: Klassische Frage von Studierenden: Was ist die Prüfungsform? Könnten Sie sich später grundsätzlich vorstellen, solche Seminare durchzuführen?

 

Zorn: Beim Bachelor-Abschluss würde ich eine Klausur oder Seminararbeit schreiben lassen, um schlichtweg Basiswissen auch am Ende nochmal abzufragen. Nur wer fundiertes Wissen zu bestimmten Dingen mitbringt, kann gut argumentieren. Bei komplexen politischen Themen könnte ich mich von der klassischen Prüfungssituation durchaus lösen. So könnten beispielsweise Paneldiskussionen oder andere dialogische Formen bewertet werden. Abschließend kann man in klassischen Formaten wie einer Masterarbeit den Gesamtkontext nochmal zusammentragen. In meiner jetzigen Funktion versuche ich, an möglichst vielen Dialogen teilzunehmen und dazu beizutragen. In jüngeren Jahren habe ich bereits bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Seminarreihen angeboten – das hat mir viel Spaß gemacht. Für die Zukunft könnte ich mir schon vorstellen, mit zwei, drei Experten Seminare zu geben, Inhalte einzubringen und Diskussionspartner zu sein.

 

BSH: An vielen Hochschulen findet Sicherheitspolitik zu großen Teilen nur außeruniversitär und durch studentisches ehrenamtliches Engagement, vor allem im BSH, statt. Wir machen das seit 36 Jahren, seither auch in enger Kooperation mit dem Reservistenverband. Uns interessiert, was Sie sich für die Zukunft wünschen, gerade auch vom BSH.

 

Zorn: Bei unserer gemeinsamen Veranstaltung in Aachen fand ich beeindruckend, dass auch Studentinnen und Studenten aus anderen Fakultäten teilgenommen haben – und zwar aus Interesse und nicht, weil es Punkte für eine Note gab. Wenn Fachfremde erkennen, dass vieles von der eigenen Arbeit durchaus Bezugspunkte zur Sicherheitspolitik hat, sind wir schon einen guten Schritt vorangekommen. Ich bin überzeugt davon, dass wir mehr davon benötigen. Bitte behalten Sie sich dieses multiplizierende Engagement an den verschiedenen Universitäten bei.

 

 

Das Interview führten Jan Heidbüchel und Lukas Huckfeldt