„Wir befinden uns in einer Zeitenwende“ – Die Heidelberger Abgeordnetenreihe mit SPD-MdB Josip Juratovic

Josip Jurativoc, MdB (SPD) ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss [Foto: Copyright(c) Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde]

Herr Juratovic sprach mir Heidelberger Studierenden über den Westbalkan und die Zukunft Europas

Die II. Heidelberger Abgeordnetenreihe bringt Studierenden die Gelegenheit mit Mitgliedern des Bundestages über außen- und sicherheitspolitische Themen zu sprechen

Die Auftaktveranstaltung der zweiten Ausgabe der Heidelberger Abgeordnetenreihe mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic fand am 9. Mai 2017 statt. Wir begrüßten den Heilbronner Westbalkan-Experten und 13 Teilnehmer im Cafe Cénmoro in der Heidelberger Altstadt. Geboren 1959 in Kroatien, kam Juratovic als Jugendlicher mit seiner Familie nach Deutschland und absolvierte dort nach der Berufsfachschule eine Lehre als KFZ-Mechaniker. Er sagt von sich selbst: „Ich war Fließbandarbeiter – das ist mein Alleinstellungsmerkmal im Bundestag“. Mit 23 Jahren trat er der SPD bei und bekleidete fortan vielfältige Parteiämter – seit 2014 ist er Integrationsbeauftragter für die Sozialdemokraten. 2005 wählten ihn die Baden-Württemberger für die erste seiner bisher drei Legislaturperioden über die Landesliste in den Deutschen Bundestag. Dort ist er momentan Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des Unterausschusses Vereinte Nationen, Internationale Organisationen und Globalisierung. Mit uns sprach er über die Konflikte in seiner Heimat, den Status quo der EU und das innerdeutsche Verhältnis zum Islam. Für ihn steht fest: „Wir befinden uns in einer Zeitenwende“.

 

Der Westbalkan erfordert unsere Aufmerksamkeit

„Diese Autokraten benutzen demokratische Strukturen, aber die demokratischen Werte liegen ihnen nicht am Herzen“, so begann Juratovic seine Einschätzung zur politischen Lage auf dem Westbalkan. Eine ähnliche Problematik bestehe darin, dass Parteizugehörigkeit häufig rein als Türöffner für Jobs fungiere. Außerdem gäbe es viel Korruption. Resultat sei die wieder aktuelle Gefahr eines Kriegsausbruchs in der Region, die vor allem durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit in der jungen Bevölkerung verstärkt werde. Die instabile Lage betrifft auch deutsche Interessen, denn laut Juratovic diene der Westbalkan als Umschlagplatz für alle möglichen kriminellen Aktivitäten in Europa, die man sich vorstellen könne. Gegen das Aufbrechen alter religiöser, kultureller oder ethnischer Konfliktlinien sprach sich der Bundestagsabgeordnete für Verständigung aus: „Der einzige Unterschied zwischen Serben und Kroaten ist der Glaube. Ein Juratovic kann sowohl Serbe als auch Kroate sein.“

 

Europa auf den richtigen Weg bringen

Einen großen Teil des Abends widmete Juratovic der Europäischen Union. In der heutigen Situation stehe man vor der Gefahr unbegründeter Schuldzuweisungen, die in einer Suche nach Sündenböcken eskalieren könne. Konstruktionsprobleme des europäischen Währungs- und Wirtschaftsraums führten dazu, dass wirtschaftlich schwächeren Staaten Nachteile entstünden, die dann bei den zugehörigen Politikern eine Selbstwahrnehmung als „Opfer der Deutschen“ fördere. Deswegen gibt es laut Juratovic dringenden Handlungsbedarf: „Wenn wir das nicht ändern, fliegt uns der Laden um die Ohren“. Neben Korrekturen in diesem Bereich müsse außerdem das Europäische Parlament reformiert werden. Auch fordert er den Aufbau einer Art europäischer Regierung. Diese Integrationsschritte flexibel durchzuführen, wie es aufgrund der Poly-Krise und fehlender Solidarität der Mitgliedsstaaten wieder stark diskutiert wird, sieht Juratovic mit Bedenken. Aus einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten dürfe kein „Europa der unterschiedlichen Richtungen“ werden. So müsse beispielsweise die Aufspaltung in ein Süd- und Nordeuropa vermieden werden. Ein Zuhörer fragt: „Ist jetzt Erweiterung oder Vertiefung für die EU wichtiger?“ Juratovic meint, an beidem müsse parallel gearbeitet werden, um den Fortbestand des Staatenverbunds zu sichern. Eine Beitrittsperspektive für alle EU-Anrainerstaaten sieht er aber nicht. Im Fall der Türkei sei die CDU mit ihrer Policy der privilegierten Partnerschaft „ehrlicher“.

 

Mit dem Islam leben

Ein Heraushalten des Islams aus Europa strebt Juratovic damit keinesfalls an, denn er stellte auch fest: „Unser Umgang mit Muslimen ist nicht akzeptabel“. Um gelungene Integration zu erreichen, seien Moscheen wichtig, in denen in Deutschland ausgebildete Imame arbeiteten. Außerdem müsse dort natürlich auf Deutsch gepredigt werden.

 

Pessimismus bringt uns nicht weiter

In seinem Fazit machte Juratovic noch einmal die Botschaft klar, die er dem vor allem jungen Publikum vermitteln wollte: Die Probleme seien da, jetzt müsse man sich politisch engagieren um nach Lösungen zu suchen. Falsch sei es, sich „einfach aus der Verantwortung zu ziehen“, wie es die Briten mit ihrem EU-Austritt getan hätten. Hinzu komme, dass viele Menschen Frieden fälschlicherweise als selbstverständlich empfänden. Für die Herausforderungen unserer Zeit brauche es stattdessen Vertrauen in die eigenen Stärken: „Wir haben verlernt, auch mal Träume und Visionen zu haben.“