VIII. Seminar Wirtschaft & Sicherheit: Verwundbarkeit durch Abhängigkeit? Deutsche und Europäische Energiesicherheit

Wie viele Veranstaltungen in diesem Jahr fand auch das VIII. Seminar Wirtschaft & Sicherheit des BSH aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie rein virtuell statt. Nichtsdestotrotz diskutierten vom 23. - 26. November 25 engagierte Studierende und junge Graduierte über die aktuellen Herausforderungen für die deutsche und europäische Energiesicherheit.

Den Auftakt machte Prof. Dr. Sebastian Oberthür vom Institute for European Studies (IES) der Vrije Universiteit Brussel mit einer Einführung zur Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union. Dabei ging er auf die Entwicklung der europäischen Gesetzgebung und die verschiedenen Etappen ein: von 20-20-20 bis 2020 (20-prozentige Reduzierung der Treibhausgasemissionen, 20-prozentiger Anteil an erneuerbaren Energien, 20-prozentige Verbesserung der Energieeffizienz) über 40-27-27 bis 2030 bis hin zum 2019 verkündeten European Green Deal, der das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 vorsieht. Um dieses ambitionierte Ziel umzusetzen, bedarf es auch hoher finanzieller Investitionen, weshalb gerade dem Mehrjährigen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2021-2027 sowie dem Corona-Wiederaufbaufonds “NextGenerationEU” eine entscheidende Rolle zukommt. Den Abschluss des ersten Tages machte Dr. Frank Umbach, der als Research Director beim European Cluster for Climate, Energy and Resource Security (EUCERS) tätig ist. Dabei stand unter anderem die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 im Fokus. Hierbei verwies er auf die außenpolitischen/internen Differenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und auch die harte Haltung der USA gegen dieses Projekt. Dr. Umbach machte deutlich, dass es sich entgegen der Position der deutschen Bundesregierung nicht nur um ein rein wirtschaftliches Projekt handele, sondern es unter Einbeziehung eines erweiterten Sicherheitsbegriffs vielmehr um den Versuch der russischen Regierung gehe, die Energieabhängigkeiten politisch zu instrumentalisieren.

 

Mit dem Wissen vom Vortag konnten die Teilnehmenden am zweiten Tag mit Jörg Kirsch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die deutsche Energiepolitik und die Bedeutung von Nord Stream 2 vertieft und kontrovers diskutieren. Dabei verwies er darauf, dass die Energiewende die Differenz zwischen der inländischen Förderung und dem Netto-Importbedarf bei weitgehend konstantem Gesamtverbrauch der EU-Staaten vergrößere. Er betonte insbesondere den Umstand, dass die neue Ostseepipeline deutlich energieeffizienter sei. Außerdem vertrat Jörg Kirsch die Position, dass Nord Stream 2 für Deutschland selbst weitgehend unbedeutend sei, da Deutschland als Transitland für den Gastransport auf den europäischen Markt fungiere.

 

Einen möglichen Ausweg aus der Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen bot Lilly Höhn vom Bundesverband der Deutschen Industrie mit einem Einführungsvortrag zur Rolle von Wasserstoff. Hierbei unterstrich sie die Chance der Energiewende, neue Partnerschaften, unter anderem mit afrikanischen Staaten, auf- und auszubauen. Wasserstoff trage aufgrund seiner Vielseitigkeit als Energieträger zudem nicht nur zur Dekarbonisierung bei, sondern böte gerade mit Blick auf eine verstärkte europäische Zusammenarbeit auch industriepolitische Möglichkeiten. Deutschland und auch die EU-Kommission hätten im Sommer nun ihre Wasserstoff-Strategien vorgelegt, die zwar vielversprechend seien, aber gerade im Verkehrssektor noch mehr Ambitionen benötigten.

 

Über die Bedeutung der Energiewende für die Energieversorgungssicherheit diskutierten die Teilnehmenden an Tag drei mit Hanns Koenig und Maren Preuß von Aurora Energy Research. Dabei ging es etwa um die Verschiebung des globalen Gleichgewichts durch die Energiewende. Neben den ökonomischen Einbußen für Exporteure von fossilen Energieträgern und einer daraus resultierenden möglichen Destabilisierung der Golfstaaten oder Russlands, würden Industriestaaten aufgrund einer veränderten Importabhängigkeit ihre außenpolitischen Strategien verändern. Zudem entstünden auch neue Abhängigkeiten, wie etwa anderem von Patenten oder seltenen Erden. Diese seien aber weniger kritisch als bisherige Abhängigkeiten. Zudem betonten die ReferentInnen eine Veränderung des Denkens über Energiesicherheit durch die Energiewende. Hierbei sei nicht nur die Notwendigkeit von Netzen bzw. der Anbindung zu Nachbarländern hervorzuheben, sondern auch die Weiterentwicklung von Speichertechnologien. Obwohl Erneuerbare Energie volatiler sind, stellen derzeit andere Faktoren ein Risiko für die Energiesicherheit dar.

 

Am letzten Tag des diesjährigen Seminars Wirtschaft & Sicherheit standen die externen Einflüsse auf die deutsche und europäische Energiesicherheit im Fokus. Zu Beginn diskutierten die Teilnehmenden mit Dr. Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über die geoökonomische Energiepolitikder USA. Dabei erläuterte er, dass das lange Zeit geltende Prinzip „Sicherheit für Öl“ sich nun in „Sicherheit für weniger Öl“ gewandelt habe. Die USA habe lange als Schutzmacht für die Stabilität der Öl-Monarchie Saudi-Arabien gesorgt. Dennoch übte die US-Administration unter Präsident Trump gerade im Lichte des eigenen Aufstiegs als Ölexporteur während des durch die Corona-Krise aufziehenden Preiskriegs Druck auf die vermeintlichen Partner aus, die Produktion einzuschränken und damit den Preisverfall zu stoppen. Auch mit Blick auf die Nord Stream 2 Pipeline bemühen die USA weniger marktwirtschaftliche, als vielmehr geoökonomische Argumente. So kritisieren sie, dass etwa Deutschland sein Erdgas für Milliarden Euro von Russland kaufe, aber sich weiterhin als Trittbrettfahrer auf die Schutzmacht USA verlasse, die Europa vor allem vor russischer Aggression bewahre. Weiterhin mahnte Dr. Braml an, dass diese kurzfristig angelegte, auf Nullsummendenken basierende Politik gegen die Hauptkonkurrenten auf dem internationalen Öl- und Gasmarkt (v.a. Saudi-Arabien, Russland, Iran) nicht nur auf Kosten wirtschaftlicher Interessen der Alliierten in Europa gehe. Vielmehr schade es den USA auf lange Sicht selbst und stärke den globalen Rivalen China.

 

Zum Abschluss bot Nikolas Löbel, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Teilnehmenden des Seminars einen vertieften Blick auf die Bedeutung der Kaukasusregion für die europäische Energiepolitik. Dabei ging er auf den Konflikt in Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ein und bemängelte die fehlende Interessensformulierung und außenpolitische Handlungsfähigkeit der EU.

 

 

Abschließend bedanken wir uns herzlich bei allen Referentinnen und Referenten, die das VIII. Seminar Wirtschaft & Sicherheit zu einer überaus erfolgreichen Veranstaltung gemacht haben, sowie bei unseren hochmotivierten Teilnehmenden für kontroverse Fragen und spannende Diskussionen. Wir freuen uns bereits auf das IX. Seminar Wirtschaft & Sicherheit im Jahr 2021, das dann hoffentlich wieder in persona stattfinden wird.