Auf einen detaillierten Überblick über die Entstehung der vergleichsweise jungen Bewegung mit Unterstützung durch lokale Politiker folgte eine Analyse der prägenden Phase unter der Führung von Abubakar Shekau. Als problematisch zeigte St-Pierre die regionale und globale Bedeutung von Boko Haram auf, dessen Aktionsradius sich nicht nur auf Nordost-Nigeria beschränkt. Beispielsweise kontrolliert die Gruppe die zentralen Schmuggelrouten Afrikas und spielt dadurch für den Nachschub und illegalen Handel anderer Gewaltgruppen weltweit eine Rolle. Sie gilt als zentraler und unumgänglicher Ansprechpartner für jegliche Transitoperationen durch die Region und berührt damit logischerweise auch den globalen Handel, wie St-Pierre mit Verweis auf China demonstrierte. Die Verbindungen und Arbeitskontakte reichen von Terrorgruppen in Nord- und Ost-Afrika, über die bereits vor dem Treueeid existierende Verbindung zu ISIS und anderen Bewegungen in Nahost, bis hin zum Drogenverkehr mit Akteuren aus Südamerika.
Kritisch zu betrachten ist dabei die Rolle der nigerianische Regierung und vor allem der nigerianischen Sicherheitskräfte bei der (Nicht-)Bekämpfung von Boko Haram. Die Offensive einer multinationalen Taskforce, an der sich unter anderem Truppen aus Kamerun und dem Tschad beteiligen, weist seit Beginn des Jahres zwar immer wieder Operationserfolge auf. Fraglich ist jedoch, ob es angesichts der politischen Rivalitäten zwischen Nigeria und seinen „Verbündeten“ zu einer langfristigen Stabilisierung in der Region kommen wird. Ernüchternd waren die Einblicke, die Yan St-Pierre in seine eigenen Erfahrungen mit nigerianischen Behörden und den mangelnden Kooperationswillen zwischen den an der Operationsführung beteiligten Sicherheitskräften gewährte.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern und unserem hervorragenden Referenten Yan St-Pierre für einen sehr spannenden und detailreichen Vortrag und die lebhafte Diskussion im Anschluss an die Veranstaltung und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen mit allen Beteiligten.