BSH goes Baltikum: Bericht der I. Internationalen Sicherheitspolitischen Exkursion vom 07. - 12. April 2019

Nicht erst seit der Annektion der Krim im März 2014 sehen die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen mit einem wachsamen Auge gen Osten, auch vonseiten der NATO ist die Aufmerksamkeit verstärkt. Mit der NATO-Battlegroup in Litauen sowie im Rahmen der NATO Enhanced Forward Presence (eFP) leisten auch deutsche Soldaten im Baltikum ihren Dienst. Dies nahm der Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) Anfang April 2019 zum Anlass seiner I. Internationale Exkursion. Dabei hatten die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur die Möglichkeit mit den Soldaten vor Ort ins Gespräch zu kommen, sondern auch mit hochkarätigen Referent*Innen über die Wirksamkeit der Maßnahmen der NATO zu diskutieren. Tatkräftig unterstützt wurde der BSH bei der Organisation und Durchführung der Exkursion durch den Jugendoffizier Hauptmann Danny Greulich.

Nach der Anreise und einem ersten Kennenlernen in Tallinn (Estland) am Sonntag den 07.04.2019 ging es in der Estonian Academy of Security Sciences am Montag sofort spannend los: Der Vortrag von Lieutenant-Colonel Inge Lindsaar von den Estonian Border Guards zeigte den Teilnehmenden die Schwachstellen der estnisch-russischen Grenze auf. Mit zahlreichen Anekdoten aus ihrer langjährigen Berufserfahrung berichtete sie von Menschenhandel und organisierter Kriminalität und schilderte gleichzeitig die Herausforderungen der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX. Vor allem aber plädierte sie für eine bessere und engere Kooperation zwischen den europäischen Ländern, aber auch mit den zuständigen Stellen in Russland: "Borders have two sides, you can’t control them if your neighbour doesn’t".

 

Im Anschluss daran erläuterte Viljar Veebel vom Baltic Defence College die schwierige Situation der NATO im Baltikum: zwar ziele die Politik der NATO auf Abschreckung ab, jedoch sei die aufgebotene Material- und Personalstärke nicht in der Lage, einem russischen Angriff mittelfristig Stand zu halten. Besonders eindrücklich legte Viljar Veebel die Bedeutung der geografischen und klimatischen Gegebenheiten für strategische Überlegungen dar: so sei ein Großteil der Grenzfläche zwischen Estland und Russland von Mooren und Seen gekennzeichnet, nur 40km der Grenze bestünden aus ganzjährig festem Untergrund. Sobald jedoch die Moore und Seen im bis zu -25°C kalten estnischen Winter gefrieren, seien auch diese Flächen problemlos für Personal und Material überquerbar. Derart eingestimmt ging es am Nachmittag weiter ins NATO Cooperative Cyber Centre of Excellence (CCD COE), wo den Teilnehmenden nicht nur die Aufgaben des Centres sondern auch die drei Leitprojekte des vorgestellt wurde: die jährliche multinationale Cyberübung Locked Shields mit über 2500 simulierten Angriffen, das sogenannte Tallinn Manual, ein Handbuch zum Internationalen Recht in Bezug auf Cyber Operations und Cyber Warfare sowie die vom CCD COE ausgerichtete jährliche Cyber-Konflikt Konferenz CyCon.

 

Am folgenden Tag stand ein Besuch der deutschen Soldaten des Verstärkung Air Policing Baltikum (VAPB) in Ämari auf dem Programm. Nach einem Vortrag durch den Kontingentführer Oberstleutnant Sebastian Fiedler über den Auftrag des Einsatzverbandes ging es direkt in die Halle zu den Eurofightern. Hier erläuterte der Führer Technik des deutschen Kontingents, Hauptmann Lehmann die Eigenschaften des Flugzeuges im Einsatz, das ohne Vollgas zu geben Schallgeschwindigkeit erreichen kann: „Stellen Sie sich vor, dass die Maschinenkraft des größten Kreuzfahrtschiffs der Welt in einen Linienbus gepackt wird und dieser wie ein Formel-1-Wagen beschleunigt. Dann haben Sie ungefähr eine Ahnung davon, welche Power in diesen Kampfflugzeugen steckt.“ Trotz des Schneeregens erlebten die Teilnehmenden danach das Highlight des Tages aus nächster Nähe: der Start zweier Eurofighter im Rahmen einer Übung.

 

Neben dem intensiven sicherheitspolitischen Programm der Exkursion kam in Lettland auch der kulturelle Aspekt nicht zu kurz: Am Vormittag des vierten Tages erkundete die Gruppe des BSH die Altstadt von Riga und wurde von einem kundigen Guide in die Geschichte und Eigenheiten von Land und Leuten eingeweiht. Am Nachmittag erklärten Giorgio Bertolin und seine Kolleg*Innen im NATO Strategic Communications Centre of Excellence (STRATCOM) die Aufgaben und den Auftrag des Centres und gingen auch auf den Einsatz von gezielter Desinformation zur Destabilisierung von Gesellschaften ein. Zusätzlich zeigten die Referenten die verschiedenen möglichen Strategien auf, wie Falschinformationen von Nationalstaaten und anderen Akteuren wiederlegt oder aufgedeckt werden können. Hierbei wurde besonders die Zusammenarbeit des STRATCOMs mit dem zwischen Wissenschaft und Unternehmen agierenden Digital Forensic Research Lab (DFRLab), dessen Partner u.a. Facebook ist, lebhaft diskutiert. Um wirtschaftliche Interessen hinter scheinbar kostenfreien Onlinediensten erkennen zu können gab Giorgio Bertolin den Teilnehmenden den Hinweis: "Facebook is free: if you are not paying, you are the product".

 

In Litauen angekommen begann der vorletzte Tag der Exkursion mit einem Besuch der deutschen Botschaft in Vilnius, wo Verteidigungsattaché Oberstleutnant Thorsten Fries neben den aktuellen Herausforderungen der Auslandsvertretung die Bedeutung der NATO Truppen in Litauen für die wahrgenommene Sicherheit der Bevölkerung betonte. Danach besuchte die Gruppe den deutschen Anteil der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) auf dem Stützpunkt der litauischen Armee in Rukla. Dort nahmen sich die Soldaten viel Zeit, um mit den Teilnehmenden über die unterschiedlichen Herausforderungen ihres Einsatzes zu sprechen. Zudem führten sie die Gruppe über das weitläufige, multinational genutzte Gelände, wobei sie den Blick der Studierenden und jungen Berufstägigen für das tägliche Leben im Auslandseinsatz schärften, indem sie zusätzlich zu den Gemeinschafts- und Sporträumen auch die Unterkünfte der Soldat*Innen zeigten.  Anschließend erklärten die Soldaten ihren gespannten Zuhörer*Innen zusätzlich zu den technischen Eigenschaften auch die Übungs- und Pflegeroutinen der dort eingesetzten Marder und Leopard 2 Panzer.

 

Zum Abschluss der Exkursion besuchte die Gruppe des BSH am Freitag die NATO Force Integration Unit in Vilnius. Dort gaben sowohl deutsche als auch litauische Soldaten einen Einblick in die multinationale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen NATO-Einheiten bevor die Teilnehmenden sich auf den Weg zum Flughafen machten. Damit verging die sechstägige Exkursion des BSH wie im Flug und viele der Teilnehmenden wären gerne länger geblieben, um die neu gewonnenen Eindrücke weiter zu ergänzen.

 

Der Artikel ist ebenfalls in der loyal 06/2019 erschienen.