Zu Beginn des Vortrags erklärte Kevin, dass Singapurs Geschichte von vielen Plünderungen geprägt sei, wobei die gute strategische Lage für die Seefahrt große Aufmerksamkeit erfuhr. Als Kolonie Großbritanniens entwickelte sich Singapur zu einer multikulturellen Finanz- und Wirtschaftsmetropole und diente gleichzeitig als Militärstützpunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem Singapur lange von Japan besetzt blieb, konnte Lee Kuan Yew von der Peoples Action Party (PAP) einen Erdrutschsieg einfahren. Pläne eines Zusammenschlusses mit u.a. Malaysia seien trotz historischer Nähe gescheitert. Hinzu kamen ethnische Unruhen aufgrund der Multikulturalität. Gegen seinen Willen erlangte Singapur unter schlechten Voraussetzungen 1965 die Unabhängigkeit.
Nach der historischen Einführung Kevins folgte nun der interaktive Teil. In gemeinsamer Erarbeitung wurden u.a. die fehlenden Ressourcen, die fehlende Infrastruktur und Industrie, der fehlende Wohnraum, die herrschende Armut und das chaotische politische Umfeld als Anfangsprobleme Singapurs identifizier. Erst eine staatliche Ordnung und Struktur könne Sicherheit garantieren. Die gewonnene Sicherheit führe zu einem stabilen Wirtschaftswachstum und damit einem höheren Lebensstandard. Das konkrete Instrument sei die Wiederbelebung Singapurs als Freihafen und Singapur "wie ein Unternehmen für Unternehmen" zu führen.
Die praktische Umsetzung durch Lee Kuan Yew erfolgte nach autokratischem Stil, wie Kevin den Zuhörern nahelegte. Um Stabilität und Sicherheit zu erreichen, wurden Kritiker eingesperrt und verklagt. Außerdem habe es Bußgelder von 100.000$ auf bestimmte Wörter/Aussagen gegeben. Gewerkschaften wurden verboten, Steuern gesenkt und die Bürger zum Sparen verpflichtet. Dadurch hätten die Bewohner Singapurs nicht nur Geld für Investitionen, sondern auch die Möglichkeit, Anteile an Firmen (etwa Singapur Airlines) zu halten. Der Staat und seine Bürger investierten in Bildung und günstigen Wohnraum mit der Folge, dass neben der Stabilität auch das Wirtschaftswachstum schnell erreicht war und das Problem der Armut sowie des Wohnraums gelöst wurden.
Trotz dem großen Eingriff des Staates in das Leben seiner Bürger, könne die PAP auf große Unterstützung in der Bevölkerung aufbauen. Zeitweise konnten Wahlergebnisse von 100% erreicht werden, mittlerweile liege sie jedoch nur noch bei ca. 61%. Dem Premierminister komme dabei eine große Macht zu: er könne entscheiden, wann Wahlen stattfinden und die Zuschneidung von Wahlkreisen beeinflussen. Kurz um, Wahlen seien frei, aber nicht fair. Das Modell Singapur bestehe somit aus dem Tausch der Legitimation der Regierung durch die Staatsbevölkerung gegen "gute Politik".
Bevor die Diskussion begann wies unser stellvertretender Vorsitzender Josef noch darauf hin, dass das Modell Singapur kein Vorbild (für westliche Demokratien) sei, nur weil die Bevölkerung es unterstütze. Unter anderem müssten geschichtliche und kulturelle Einflussfaktoren beachtet werden.
Die Diskussion begann sogleich mit Fragen zum rechtlichen Status von ausgebeuteten Menschen ohne singapurische Staatsbürgerschaft beim Aufbau des Wohlstands und weshalb diese in relevanten Statistiken nicht berücksichtigt seien. Nachdem diese Frage nicht beantwortet werden konnte, fragte ein Mitglied, ob es in Singapur ein spezielles Demokratieverständnis gebe, dass anders als z.B. an westlichen Universitäten gelehrt werde. Kevin erklärte, es handele sich um eine "Outputlegitimation", die mit einem großen Selbstbewusstsein der PAP verbunden sei. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass kein fairer Wettbewerb garantiert sei, wie eine weitere Zuhöherin anmerkte. Es entstand eine angeregte Diskussion, bei der die ethnsichen Konflikte, das Bruttoinlandsprodukt, die noch existierende Todesstrafe in Singapur und die geostrategische Lage Singapurs thematisiert wurden.
Was können wir aus dem Vortrag lernen?
Das Model Singapur scheint einzigartig zu sein: Neben einer erfolreichen Wirtschaft steht ein autokratisches politisches System. Eine Opposition existiert nicht, sie müsste eine alternative Politik zur Regierung anbieten, jedoch reicht der Output der Regierung zur Zufriedenheit des Großteils der Bevölkerung aus. Im Tausch legitimiere die Bevölkerung die Regierung, welche mit großem Selbstbewusstsein auf das eigene Modell und die verbundene Outputlegitimation verweist. Allerdings, wie unser stellvertretender Vorsitzender Josef anmerkte, kann der Erfolg des Modells Singapur nur unter weiteren Einflussfaktoren wie die Geschichte und die Kultur richtig eingeordent werden.