Einblicke in die US-Wahlen aus der Perspektive einer Wahlbeobachterin

Die Schilderungen von Katja Keul, Bundestagsmitglied für Bündnis90/die Grünen und OSZE-Wahlbeobachterin in Michigan, machen Mut. Vom 1. bis zum 4. November war sie in den USA unterwegs und berichtete von einem erstaunlich geordneten Wahlablauf. Weder der von Trump öffentlichkeitswirksam angekündigte Wahlbetrug, noch die befürchteten wütenden Ausschreitungen waren zu beobachten.

Ein Blick auf die Stimmenmehrheiten in den einzelnen Bundesstaaten. Daneben (v.o.n.u.) Katja Keul (MdB) sowie die beiden Moderatoren Jonas Schmid und Ariatani Wolff.

Als „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ sieht es die OSZE als eine ihrer Aufgaben an, den geordneten und regelkonformen Ablauf demokratischer Wahlen zu fördern. Zu diesem Zweck entsendet sie regelmäßig Wahlbeobachter*innen, von denen einige den Wahlkampf über mehrere Monate hinweg begleiten (Langzeitbeobachter*innen) und andere zur Unterstützung am Wahltag selbst entsandt werden (Kurzzeitbeobachter*innen).

Dieses Jahr war ihre Anzahl pandemiebedingt ungewöhnlich gering, umso wichtiger erscheint es der grünen Parlamentarierin Katja Keul dabei gewesen zu sein. Als eine von (USA-weit) 40 Kurzzeitbeobachter*innen besuchte sie in einem vierköpfigen Team Wahllokale in Michigan. Ihre vielfältigen Eindrücken und Erfahrungen teilt sie in einer Diskussionsrunde am 11. November mit der Außen- und Sicherheitspolitischen Hochschulgruppe Heidelberg (ASH).

 

Dass eine externe Kontrolle der Wahlen möglich ist, darf keineswegs als selbstverständlich erachtet werden. Beinahe die Hälfte aller amerikanischen Bundesstaaten lassen keine internationalen Wahlbeobachter*innen zu – dazu gehört inzwischen auch Florida, Frau Keuls Einsatzort im Jahr 2016.

Abgesehen davon existieren Mechanismen und Regelungen, die es insbesondere ethnischen Minderheiten und finanziell schwachen Wählerschichten erschweren, ihre Stimmen abzugeben. Dazu gehören laut Keul in erster Linie mit der Registrierung verbundene Hürden: Sich ordnungsgemäß zur Wahl anzumelden sei für gut situierte, gebildete, weiße Wähler*innen deutlich leichter als für sozio-ökonomisch schlechter gestellte Personen. Dass Vorbestrafte, die ihre Strafen für oftmals geringfügige Vergehen schon lange verbüßt hätten, ihr Wahlrecht teilweise für immer verlören, sei ein weiteres demokratisches Defizit. Hinzu käme, dass die genaue Ausgestaltung der Wahlrechtsbestimmungen jedem County (Landkreis) selbst obliegt,  was insgesamt zu einem unübersichtlichen Flickenteppich führe. In diesem Bereich sieht Keul die Zeit für Reformen eindeutig gekommen, habe diese Regelung doch mehr historische als praktische Gründe.

Gleichzeitig spricht die Wahlbeobachterin mit Blick auf einen Präsidenten Biden von Zuversicht: Er könne seine Regierungszeit nutzen, um eine Wahlrechtsreform durchzuführen. Langfristig, geordnet, nicht erst kurz vor den Neuwahlen und notgedrungen. „Außerdem fordern viele Expert*innen eine nationale Regulierung der Wahlkampfausgaben“, so Keul. Verständlich, bei einer Rekordsumme von 14 Milliarden Dollar, die 2020 für Wahlkampagnen ausgegeben wurde – 50% mehr als im Jahr 2016.

 

Doch es ist nicht allein Bidens Sieg in Michigan sowie sein Überschreiten der beinahe magischen Grenze von 270 Wahlmännerstimmen, die Keul hoffnungsvoll stimmen. Tatsächlich sei die Wahl erstaunlich ruhig und geordnet abgelaufen, es habe keinerlei Anzeichen von Wahlbetrug gegeben. Außerdem: „Alle Verantwortlichen waren bemüht darum, den Menschen das Wählen zu ermöglichen, trotz und gerade unter den erschwerten Bedingungen einer grassierenden Pandemie.“ Anders als zuvor befürchtet kam es laut den OSZE Wahlbeobachter*innen auch kaum zu Ausschreitungen. „Ja, Washingtons Läden waren tatsächlich verrammelt wie vor einem Hurrikan“, berichtet Keul, „doch in Michigan war das Stadtbild normal. Es kam weder zu Menschenaufläufen vor den Wahllokalen noch begegneten uns dort bewaffnete Personen.“ Gerade weil Donald Trump im Vorfeld der Wahlen „ihre Legitimation wie kein Präsident vor ihm infrage gestellt“ hat, sei der Ablauf eine Erleichterung und ein Erfolg gewesen. 

 

Auf die abschließende Frage aus dem Teilnehmerkreis, welche Erfahrung sie ganz persönlich mitnehme, sagte Frau Keul, die Wahl habe sie ein Stück weit versöhnt. „Ich besitze wieder etwas mehr Vertrauen in die amerikanische Demokratie. Obwohl ich als Grüne nicht mit allen Positionen von Joe Biden konform gehe, ist mit seiner Präsidentschaft eine Lösung der gesellschaftlichen Spaltung in Sicht“, meinte die Bundestagsabgeordnete. „Und eine gewisse Erleichterung für meine Freunde und Bekannten in den USA ist auch spürbar!“ 

 

Erleichterung ist ein Begriff, der in den letzten Tagen vielfach gefallen ist, sowohl bei US-Amerikanischen als auch internationalen Politiker*innen, Wähler*innen, Beobachter*innen und Journalist*innen. Trotzdem muss bedacht werden, dass eine nicht unwesentliche Anzahl von Bürger*innen Trump einen Triumpf gewünscht hätte. Diese Personen wahrzunehmen und zu integrieren, eben wahrlich „ein Präsident für alle Amerikaner“1 zu sein, ist Bidens schwierige Aufgabe und sein selbsterklärtes Ziel.

Deshalb tritt der Erleichterung Hoffnung zur Seite. Die Hoffnung, dass die älteste Demokratie der Welt wieder ein bisschen demokratischer wird – in mehr als einer Hinsicht.

 

 

1 Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland: https://www.rnd.de/politik/joe-biden-will-prasident-aller-amerikaner-sein-botschaftder-einheit-Q66Y62V7G5DZVLRCE4MKJACSHE.html [Zugriff am 11.11.2020, 23:45]