Herausforderungen und Fähigkeiten des THW

Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, kurz THW, ist eine Einsatzorganisation des Bundesministeriums für Inneres und Heimat (BMI). Aber was verbirgt sich eigentlich hinter dieser Organisation und wie sehen ihre Aufgaben aus? Das THW besteht aus etwa 80.000 ehrenamtlichen Helfer:innen, die in 668 Ortsverbänden organisiert sind. Die Fähigkeiten der Fachgruppen und Trupps des THW reichen von der Rettung von Verschütteten über die Wasseraufbereitung und Instandsetzung von Infrastruktur bis hin zum Brückenbau und dem kontrollierten Einsatz von Sprengstoff. Dazwischen und drumherum gibt es einen ganzen Blumenstrauß von Einsatzoptionen, über die das THW verfügt.

 

Um Einblicke in dieses breite Tätigkeitsfeld zu erhalten, haben wir uns mit Volker Strotmann unterhalten. Er ist seit 19 Jahren Abteilungsleiter der Abteilung Einsatz beim THW und arbeitet seit 31 Jahren in verschiedenen Positionen in der Bundesanstalt. Von Hause aus Informatiker, war er zunächst ab den 90-iger Jahren für die Erstausstattung des THW mit IT zuständig, seit 2004 ist er Leiter der Einsatzabteilung.

 

BSH: Herr Strotmann, wie bewerten Sie die Leistungsfähigkeit des Bevölkerungsschutzes in Deutschland?

 

Strotmann: Der Bevölkerungsschutz in Deutschland ist sehr dezentral organisiert und hier sind die Stärken des deutschen Systems zu finden. In der örtlichen Gefahrenabwehr und bei kleineren Lagen ist der Bevölkerungsschutz sehr leistungsfähig und flexibel. Weniger flexibel sind wir allerdings bei übergreifenden Schadenslagen, wie wir sie beispielsweise mit dem Starkregen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erlebt haben. Hier müssen wir immer wieder Probleme in der Koordination der verschiedenen Organisationen feststellen. Daneben gibt es bestimmte fachliche Herausforderungen, zum Beispiel im Umgang mit Vegetationsbränden oder CBRN-Lagen (chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Lagen). Hier gibt es jedoch große regionale Unterschiede, so sind bestimmte Regionen hier sehr gut aufgestellt, während andere hier noch Nachholbedarf haben.

 

BSH: Wie erklären Sie sich die Probleme in der Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden und Organisationen, die im Bevölkerungsschutz tätig sind?

 

Strotmann: In der Fläche, im Normalbetrieb sozusagen, klappt diese Zusammenarbeit gut. Dass das bei Großlagen nicht immer so ist, ist insbesondere in fehlenden Prozessen und Wissen um die Fähigkeiten der anderen Organisationen begründet. Das sind systemische Probleme, die wir in Deutschland haben. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und der Zusammenhalt zwischen den Organisationen ist im Gegensatz dazu erfreulich hoch. Dass es im Alltag trotzdem gelegentlich zu Problemen in der Zusammenarbeit kommt, kommt natürlich vor, ist aber nicht die Regel.

 

BSH: Das heißt, in Bezug auf eine Großlage, bei der viele Organisationen aufeinandertreffen, fehlt es manchmal an der Harmonisierung der Prozesse?

 

Strotmann: Ja, aber daran wird aktuell gearbeitet. Man hat jetzt das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB) gegründet und wir hoffen, dass man die Koordination darüber besser hinbekommt. Das Problem ist also erkannt, aber noch sind das alles Dinge, die im Aufbau sind. Bislang ist der Beweis, dass wir dann beim nächsten Mal besser reagieren können, noch nicht geführt. Man hofft natürlich, dass diese Bemühungen Erfolg haben, aber wenn man auf das heutige Ist schaut, muss man sagen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.

 

BSH: Direkt im ersten Leitsatz des THW steht „in Deutschland und weltweit zu helfen“. Wie sehen die Auslandsengagements des THW aus?

 

Strotmann: Unser Engagement im Ausland hat viele verschiedene Facetten. Die bekannteste Form des Engagements ist die Hilfe nach Großereignissen, bei denen die Kräfte des THW direkt vor Ort helfen, zuletzt zum Beispiel nach dem Erdbeben in der Türkei Anfang des Jahres oder bei der Flutkatastrophe in Slowenien. Zu diesen Einheiten gehört die Bergung, aber auch die Trinkwasseraufbereitung und logistische Unterstützung. Solche Einsätze sind der historische Startpunkt des Auslandsengagements des THW, der erste dieser Art fand 1953 in den Niederlanden statt. Für diese Einsätze stellt Deutschland über das THW vordefinierte Fähigkeiten in einen EU-Mechanismus ein, die dort dann im Bedarfsfall von anderen Ländern angefordert werden können. Das können beispielsweise Bergungseinheiten, Hochwasserboote, schwere Pumpen und in Zukunft auch Elektroversorgung sein. Diese Einheiten müssen aufgebaut, trainiert und immer wieder zertifiziert werden. Außerdem gibt es seit etwa zehn Jahren einen weiteren Bereich, das so genannte Capacity Building. Seit der Implementierung waren und sind wir in Tunesien, später dann in Algerien, Marokko, Jordanien und im Irak unterwegs. Der Fortschritt dieser Projekte ist sehr unterschiedlich, aber finanziert sind sie durch das Auswärtige Amt und die EU. Wir bauen dort funktionierende, ehrenamtliche Katastrophenschutzeinheiten mit Ausbildung, Ausstattung und Bekleidung auf. Wir sind stolz darauf, dass die erfahrenen Teams, die wir aufgebaut haben, in der Türkei und Syrien tatkräftig helfen konnten. So konnten beispielsweise jordanische Einheiten in der Türkei arbeiten und tunesische Einheiten in Syrien unterstützen, wo sonst kaum Einheiten arbeiten konnten. Wir haben einen Teil der Logistik, also die Lieferung von Hilfsgütern nach Syrien, in Absprache mit dem Auswärtigen Amt über unsere Kräfte im Nordirak abgewickelt. Also sieht man, dass dieser capacity-building-Ansatz auch tatsächlich dazu führt, dass im Bedarfsfall solche Einheiten verfügbar sind. Persönlich hat es mich besonders gefreut, dass es möglich war, Erdbeben-Einheiten nach Aleppo in Syrien zu bringen. Es wäre für deutsche THW-Einheiten undenkbar, in der gegenwärtigen Situation dort tätig zu werden.

 

BSH: Inwieweit ist das THW in die humanitäre Hilfe für die Ukraine involviert?

 

Strotmann: Wir haben vom Auswärtigen Amt finanziertes Material im Wert von knapp 120 Millionen Euro beschafft und in die Ukraine geliefert. Dazu gehörten Feuerwehrfahrzeuge, Baumaschinen, Notfall-Sets und Notunterkünfte, also das ganze Spektrum an zivilen Hilfsgütern, die dort an den ukrainischen Katastrophenschutz, und teilweise auch direkt an Städte wie Odessa oder Mykolajiw ausgeliefert worden sind. Zusätzlich gehört zu diesem ganzen internationalen Bereich auch die Gremienarbeit, wo man sich beispielsweise im Rahmen der EU (European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations) fachlich über neue Einheitentypen, über Zertifizierungen und über Standardisierungen unterhält. Außerdem gibt es auch noch ein Netzwerk für die Erdbeben-Einheiten im Rahmen der Vereinten Nationen, die sogenannte INSARAG (International Search and Rescue Advisory Group), wo auch internationale Gremienarbeit anfällt. Diese Auslandsarbeit ist also eher Grundlagenarbeit im Zuge derer Voraussetzungen geschaffen werden, um überhaupt effektiv gemeinsam arbeiten zu können.

 

BSH: Rechnet das THW mit der Zunahme von Projekten, die zur Ausbildung im Ausland dienen und einer Zunahme von Einsätzen im Ausland?

 

Strotmann: Der Blick in die Zukunft ist immer schwierig. Das derzeit gültige Rahmenkonzept ergibt sich unter anderem aus Gefährdungsanalysen aus dem Bereich des Weißbuches und Gefährdungsanalysen, die sich mit Naturgefahren auseinandersetzen. Wir rechnen schon seit 2016, als das Konzept vom damaligen Innenminister geschrieben wurde, mit einer stärkeren Betonung des Zivilschutzaspektes. Das hat der Krieg in der Ukraine leider voll bestätigt. Zudem gehen wir auch von einer erhöhten Alltagsgefahr im Bereich der Naturkatastrophen aus. Ob das wirklich so kommt, wissen wir natürlich nicht, aber wir rechnen damit, im Fachbereich Notversorgung und Notinstandsetzung künftig verstärkt gefordert zu sein. Dasselbe gilt für das große Thema Logistik.

 

BSH: Welche Lagen fordern das THW derzeit?

 

Strotmann: Dazu muss man wissen, dass wir bundesweit, auch in die örtliche normale Gefahrenabwehr eingebunden sind, wobei die genaue Praxis von Bundesland zu Bundesland variieren kann. Es laufen praktisch permanent irgendwo in Deutschland THW-Einsätze. Meistens sind diese nicht so dramatisch oder spektakulär, dass sie es in die Medien schaffen, aber es gibt eine Grundlast an Einsätzen. Darunter fällt tagtäglich eine Vielzahl von Aufgaben. Das Spektrum dieser “Grundlast” reicht von Bergungsarbeiten über Hilfe nach Unfällen und das Wegräumen von Hindernissen bis hin zu Gasexplosionen in Häusern. An besonderen Einsatzlagen ist die Ukraine momentan tatsächlich der größte Brocken. Das ist das, was uns im Bereich der Hilfsgüter gerade am meisten beschäftigt, weil mit der Hilfe für die Ukraine ein enormer Aufwand verbunden ist. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Material zu beschaffen, es ein- und zwischenzulagern, zu verzollen und die logistischen Hürden beim Transport in die Ukraine zu bewältigen. Das fordert uns im Augenblick besonders heraus. Zum Glück blieben uns diesen Sommer große Naturkatastrophen in Deutschland noch weitgehend erspart. 

 

BSH: Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung beinhaltet neben Chancen auch viele Risiken für unsere kritischen Infrastrukturen. Um großflächigen Angriffen oder Ausfällen entgegenzutreten, gibt es Bestrebungen, eine Art „Cyber-Hilfswerk (CHW)”, wie dieAG Kritis es genannt hat, zu gründen. Das THW soll hier als institutionelle Aufhängung dienen. Können Sie uns hierzu einen Zwischenstand geben?

 

Strotmann: Wir haben einen spannenden Gesprächspartner mit der AG Kritis und wir haben, nachdem wir uns über die gegenseitigen Erwartungen und Möglichkeiten ausgetauscht haben, darauf verständigt, dass wir hier ein detailliertes Konzept brauchen. Aktuell suchen wir dafür die passenden Menschen, was nicht so einfach ist. In dieses Konzept würden wir gern die Vorarbeiten der AG Kritis und natürlich auch die Ideen, die es bei uns in der Organisation in diese Richtung gibt, einfließen lassen. Leider waren unsere Ausschreibungen bislang noch nicht so erfolgreich. Wenn es in Ihrem Netzwerk Qualifizierte gibt, die Interesse hätten, sich im Rahmen einer befristeten Forschungstätigkeit hier einzubringen – immer her damit!

Man muss sich genau anschauen, was tatsächlich gebraucht wird und welche Probleme in einer „Cybergroßlage“ durch uns überhaupt behandelt werden können. Wir sind uns einig darin, dass man nicht einfach in eine Firma gehen kann und an deren IT herumbasteln kann. Neben der Behandlung der Folgen von Kritis-Ausfällen – hier geht es also um klassische THW-Aufgaben wie die Versorgung mit Notstrom – ist auch die Notkommunikation ein herausragendes Thema. Wichtig wäre es, Kommunikationsnetze aufzubauen und vorzuhalten, die man im Bedarfsfall aufspannen kann. Einfaches Beispiel: Im Ahrtal war am Anfang das gesamte Kommunikationsnetz zusammengebrochen. Hier müssen wir daran arbeiten, künftig in der Lage zu sein, zentrale “Inseln” aufzubauen, an denen Strom und Internet verfügbar sind, sodass die Leute ihre Handys aufladen, kommunizieren und sich bei ihrem sozialen Umfeld melden können. Das wäre unter anderem eines der CHW-Themen.

Denkbar wäre auch, dass wir das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unterstützen. Das ist allerdings noch sehr vage und es gibt hier viel Prüfungsbedarf. Das BSI unterhält Teams, um im Fall von IT-Sicherheitsvorfällen Betreiber kritischer Infrastruktur zu unterstützen. Allerdings sind diese kapazitätsmäßig endlich, da ist durchaus ein Interesse da, hier eventuell auch zu unterstützen. Das wäre ein Bereich, den wir fachlich nicht als THW oder AG Kritis abdecken können. Da würde das BSI als Partner notwendig sein. Diese Fragen wollen wir in unserem Forschungsbereich aufhängen und haben dafür auch Mittel im Bundeshaushalt zugesprochen bekommen, gerade um diese konzeptionellen Vorarbeiten für das CHW zu machen. Es gibt einiges, was wir zusammen mit der AG Kritis als Rahmen definiert haben. Jetzt braucht es Leute, die Bock haben, sich damit zu beschäftigen.

 

BSH: Das heißt, dass das THW auch selbst forscht? 

 

Strotmann: In meiner Abteilung gibt es ein ganzes Referat, das sich mit verschiedenen Forschungsgebieten beschäftigt. Das sind in der Regel Forschungsprojekte, die entweder aus EU-Forschungsprogrammen oder aus dem Forschungstitel der Bundesregierung finanziert werden und meist in Kooperationen mit dem Fraunhofer Institut oder der Industrie betrieben werden. Hier treten wir als THW als Anwendungspartner auf. Wir schreiben regelmäßig auch entsprechende Angebote aus, weil wir natürlich auch für unseren Part im Rahmen dieser klassischen Forschungstätigkeit Wissenschaftler brauchen, die den THW-Teil vertreten. Es ist möglicherweise nicht so bekannt, aber man kann im Rahmen des THW durchaus forschen!

 

BSH: Welche strukturellen Herausforderungen begegnen dem THW zum Beispiel mit Blick auf Nachwuchs, Demografie, Finanzen und verändertes Einsatzspektrum?

 

Strotmann: Das ist eine Frage, auf die ich stundenlang antworten könnte. Eine Organisation wie das THW ist nicht selbstverständlich. Es bedarf regelmäßiger Anstrengungen und man muss immer wieder Menschen begeistern, sich ehrenamtlich zu engagieren. Vor einigen Jahren, nach dem Wegfall der Wehrpflicht, mussten wir uns völlig umstellen, hin zu einer rein freiwilligen Organisation. Und in den kommenden Jahren erwarten uns neue Herausforderungen. Die demografische Entwicklung, die Sie genannt haben, ist eine, aber es gibt noch viele weitere, die uns beschäftigen werden. Wir haben einen Gendershift, wir haben verändertes gesellschaftliches Verhalten, wir haben sich wandelnde Arbeitswelten, was sich auf die Freizeit auswirkt, wir haben das Thema Digitalisierung, mobiles Arbeiten, veränderte Kommunikationswege und Kommunikationsstrukturen. Alles das wirkt sich auf eine Organisation wie die unsere aus und das THW muss stetig daran arbeiten, auch im Angesicht dieser Entwicklungen attraktiv zu bleiben. Wir müssen eine gute Ausbildung anbieten, wir müssen gute Technik vorhalten und wir brauchen akzeptable Liegenschaften, was aktuell ein großes Problem bei uns ist. Ausbildung, Technik und Unterkünfte kosten natürlich Geld und Geld brauchen wir immer, gar keine Frage. Wir müssen zudem ökologisch nachhaltig in die “grüne Transformation” eintreten, denn viele unserer Gebäude sind alt und weit davon entfernt, modernen Standards gerecht zu werden. Außerdem müssen wir uns natürlich immer wieder an aktuelle Entwicklungen anpassen. Kurz gesagt: Stillstand wäre fatal, das ist Rückbau. Im Gegenteil, letztlich müssen wir das THW immer wieder neu erfinden und wer Lust hat, da mitzumachen, ist bei uns willkommen. Dazu gehört es auch, zum Beispiel auf Hochschulen zuzugehen. Einige Hochschulkooperationen existieren bereits. Es gibt sogar Hochschulen, an denen Studierende Credit Points erwerben können, wenn sie beim THW Ausbildungen absolvieren, aber das sind sozusagen noch die Rosinen im Kuchen. Das heißt, dass es solche Positivbeispiele zwar gibt, sie aber noch lange keine Regel sind – davon bräuchten wir also deutlich mehr.

 

BSH: Vielen Dank Herr Strotmann für die Einblicke, die Sie uns gegeben haben!

 

Herr Strotmann machte im Rahmen des Interviews auf die vielfältigen Einstiegschancen beim THW im Allgemeinen und besonders bei der Mitarbeit am Projekt CHW aufmerksam. Wenn ihr Interesse an den Möglichkeiten haben solltet, schaut gerne mal hier vorbei. Außerdem erfahrt ihr hier mehr zu den angesprochenen Forschungsprojekten.

Das Interview mit Herrn Strotmann wurde im 27. Juli 2023 durchgeführt.