Nächster Brennpunkt: Taiwan?

Der Konflikt zwischen Taiwan und China spitzt sich immer weiter zu und rückt mehr und mehr ins Zentrum des Interesses der sicherheitspolitischen Community. Daher war es uns als BSH Jena eine Ehre den außenpolitischen Vertreter Taiwans Prof. Shieh mit unserem Kooperationspartner in den Räumlichkeiten unserer Universität für eine Podiumsdiskussion begrüßen zu dürfen.

Anton Gries (Moderator), Dr. Holger Becker, Dr. Gudrun Wacker, Prof. Shieh, Reinhard Bütikofer (online dazugeschaltet) (v.l.)

Mit neuer Brisanz aufgrund der Ereignisse, die auf den Besuch der taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen beim Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, folgten, fand diese Podiumsdiskussion am vergangenen Dienstag, den 12.04.2023, in Kooperation mit dem Fachschaftsrat für Politikwissenschaft und Sozialkunde der Universität Jena in den Räumlichkeiten unserer Universität statt. Die Veranstaltung war gut besucht, in Präsenz fanden sich ca. 60 Besucherinnen und Besucher ein, zugeschaltet über den Livestream waren 15 Zuhörerinnen und Zuhörer.

 

Besonderer Gast war der aktuelle diplomatische Vertreter Taiwans in Deutschland, Prof. Dr. Jhy Wey Shieh. Die weiteren Podiumsgäste waren ebenfalls hochkarätig: Dr. Gudrun Wacker, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik und Delegierte der EU in der Expert and Eminent Persons Group des ASEAN Regional Forum. Ferner durften wir Dr. Holger Becker, Bundestagsabgeordneter der SPD und stellvertretender Vorsitzender der deutsch-taiwanesischen Parlamentariergruppe, sowie Reinhard Bütikofer als Abgeordneten des Europa-Parlaments von Bündnis 90/ Die Grünen auf dem Podium begrüßen.

 

Der Titel der Veranstaltung war: „Nächster Brennpunkt: Taiwan?“ - demnach wollten wir über Parallelen und Ambiguitäten des Taiwan-China Konfliktes mit dem russischen Angriffskrieg diskutieren.

 

Nach einer Vorstellung der Diskussionsteilnehmenden seitens der Moderatorin orientierte sich die folgende Diskussion an den folgenden Leitfragen:

1. Wie wird der Ukrainekrieg in Taiwan bewertet?

2. Welche Rollen spielen die Sicherheitsgarantien durch die USA für Taiwan? Welchen Effekt

haben die aktuellen Spannungen zwischen den USA und China auf Taiwan?

3. Welche Bedeutung hat Taiwan für die Weltwirtschaft?

 

Prof. Shieh begann die Diskussion mit einem Bezug auf ein Zitat aus Goethes „Erlkönig“, in welchem der Erlkönig den Sohn direkt anspricht: „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt“ – nach Prof. Shieh ist das eine Analogie zu dem Verhältnis zwischen China und Taiwan.

 

Nach diesem lyrischen Beginn der Veranstaltung begann die Diskussion mit einem Kommentar Bütikofers auf das umstrittene Interview Macrons in der französischen Zeitung „Les Echos“, in dem Macron eine eigenständigere Haltung Europas China gegenüber forderte. Laut Bütikofer habe Macron mit diesen Aussagen insbesondere die Rolle Frankreichs geschwächt, während die klare Positionierung von der Leyens als positiv gesehen werden sollte.

 

Gudrun Wacker betonte die Kontinuität der Gewaltandrohungen Chinas gegen Taiwan und kritisierte daraus folgend den Umgang mit diesen Drohungen Chinas. Zudem wies sie darauf hin, dass deutlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten der zwischen dem Konflikt zwischen Ukraine/ Russland und dem von Taiwan/China gebe. Zwei prägnante Differenzen seien zum einen, dass Taiwan kein Teil der Vereinten Nationen sei und zum anderen ist Taiwan lediglich von 13 Staaten als souveräner Staat anerkannt – demnach wäre die Situation Taiwans im Falle eines Angriffs in einer völlig anderen Lage als die Ukraine seit der russischen Invasion. Sie ging ebenfalls auf die Militärmanöver Chinas nach dem Besuch der taiwanesischen Präsidentin in den USA ein und benannte die Blockade der zivilen Schifffahrt- und Luftwege am Wochenende als mögliches Szenario eines Angriffs Chinas auf die Souveränität Taiwans.

 

Nach Schilderung dieses Szenarios sprach sie die strategische Ambiguität der außenpolitischen Strategie der USA in Bezug auf Taiwan an. Die USA würden es seit Beginn offenhalten, wie sie im Falle einer chinesischen Invasion handeln würden – heißt weder Taiwan kann sich sicher sein, ob die USA tatsächlich militärisch eingreifen würden, noch könne China davon ausgehen, dass die USA nicht einschreiten würden.

 

Prof. Shieh dagegen warf den Europäern Ambiguität im Bezug auf China vor und forderte einen entschiedeneren Ton der Europäerinnen und Europäer gegenüber Peking. Reinhard Bütikofer schloss sich dieser Kritik an und verurteilte die europäische Haltung gegenüber China als zu zurückhaltend. Man dürfe sich nicht von den Drohungen Pekings einschüchtern lassen, sondern sollte sich diesen entschlossen entgegenstellen – auch Europa habe ein eigenes Interesse an der Bewahrung der Autonomie Taiwans: als Vertreter und Bewahrer der Demokratie im ostasiatischen Raum, aber auch ganz klar Interessen ökonomischer Art. Dennoch oder gerade daher solle die EU, wie auch die Regierungen der Mitgliedstaaten die Drohungen Chinas sehr ernst nehmen. Holger Becker betonte nochmals die enormen, nicht vorstellbaren wirtschaftlichen Ausmaße, die ein Angriff auf die Souveränität Taiwans hätte, die jedes Land zu spüren bekommen würde.

 

Nach der Podiumsdiskussion folgte eine Fragerunde, die jedoch aufgrund der zeitlichen Begrenzung abgekürzt werden musste. Die Fragen thematisierten die Frage des Handelns der USA im Falle eines Angriffs ebenso, wie die mögliche Unterstützung der deutschen Regierung für Taiwan.

 

Alles in allem können die Zuhörerschaft, wie auch die Organisatorinnen und Organisatoren und Diskussionsteilnehmenden auf eine gelungene und lehrreiche Veranstaltung zurückblicken!

 

Die Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik Jena bedankt sich sehr herzlich bei allen Teilnehmenden und insbesondere bei den vier Podiumsgästen: Prof. Dr. Shieh, Dr. Wacker, Dr. Becker und Reinhard Bütikofer. Zudem danken wir dem Fachschaftsrat für Politikwissenschaft und Sozialkunde für die produktive Zusammenarbeit!