Veranstaltungsbericht: Sexualisierte Gewalt gegen Männer in bewaffneten Konflikten: Reflexionen aus Subsahara-Afrika

Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten hat seit Ende der 1990er Jahren erhöhte internationale Aufmerksamkeit erlangt. Allerdings gilt die an Männern ausgeübte sexualisierte Gewalt als bisher “blinder Fleck” in Sicherheitsstudien und der Konfliktforschung. Dieser Research Gap hat sich unser Referent Dr. Philipp Schulz vom Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS) der Universität Bremen gewidmet: Seiner Einschätzung zufolge seien Männer häufiger das Ziel sexueller Gewalt als angenommen, aber es mangele bisher an Aufmerksamkeit und Bewusstsein sowohl für diese Verbrechen als auch für die Perspektiven der Opfer. Gemeinsam mit Dr. Schulz diskutierten und betrachteten wir dieses Thema in unserem Online-Seminar unter der Einbeziehung feministischer Sicherheitsstudien und der Analyse von geschlechtsspezifischen Dimensionen im Rahmen von Sicherheit und Gewalt.

Bevor Herr Dr. Schulz uns einen tiefgreifenden Blick in seine Arbeit gab, bekamen wir einen Überblick über das internationale Engagement in der Unterbindung von sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten: Die UN-Resolution 1325 vom Oktober 2000 sei rückblickend als Reaktion auf die Umstände und Erkenntnisse des Ruandischen Genozids sowie der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien zu betrachten. In diesem Kontext sei nach Schulzes Auffassung die männliche Vulnerabilität aber unzureichend zur Geltung gekommen. Erst im Jahr 2019 habe sich die UN-Resolution 2467 explizit mit sexualisierter Gewalt gegen Männer und Jungs auseinandergesetzt. An dieser Stelle gab der Referent zu bedenken, dass es trotz der Fortschritte bis heute keine Einbeziehung queerer und nicht-binärer Perspektiven gäbe.

 

Um im weiteren Verlauf des Vortrages das Erklärungsmuster sexualisierter Verbrechen zu verstehen, präsentierte uns Herr Dr. Philipp Schulz sowohl die opportunistische als auch die strategische Erklärung einer solchen Tat. Im opportunistischen Sinne würden Kriege eine Art Window of Opportunity öffnen, um durch eine individuell gebundene Entscheidung Triebe zu befriedigen. Im strategischen Sinne – dem dominierenden Erklärungsansatz – diene sexualisierte Gewalt hingegen der Darstellung von Macht, Dominanz und Unterdrückung. Dies sei keine individuelle Entscheidung, sondern eine strategisch eingesetzte Kriegswaffe.

 

Mit diesem strategischen Erklärungsmuster vertiefte Herr Dr. Schulz auch den Einblick in seine Forschung über sexualisierte Gewalt gegen Männer in Nord-Uganda. Ausschlaggebend für die Verübung solcher Verbrechen sei der Bürgerkrieg, im Zuge dessen Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre die Rebellen der Lord’s Resistants Army (LRA) gegen die Ugandische Armee kämpften. Herr Schulz führte aus, dass die strategische Kriegswaffe hier in der Struktur einer heteronormativen und patriarchalen Gesellschaft zum Einsatz gekommen sei. Mit dem sogenannten „tek-gungu“ (Englisch: to bend over forcefully) wurden Männer penetriert und dadurch entmachtet und feminisiert. Zugleich kommunizierte der Täter Männlichkeit und Überordnung. Herr Dr. Schulz fokussierte sich während seiner Forschung im Speziellen auf die geschlechtsspezifischen Folgen der Taten. Diese wurden durch Gespräche mit den Überlebenden der Verbrechen der 1980er und 1990er Jahre analysiert. Die Untersuchungen ergaben, dass die systematische sexuelle Gewalt gegen Männer auch deren Familien unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen habe, da die Männer aufgrund physischer sowie physiologischer Verletzungen in der Rolle als Beschützer und Ernährer entfallen seien. Hervorzuheben sei jedoch die Formierung sogenannter „Überlebender-Gruppen“, in denen sich die Betroffenen gegenseitig unterstützen würden. So würden neue Geschlechteridentitäten kreiert, ökonomische Hilfen auf ein kollektives Level verschoben und neue soziale Beziehungen geschöpft.

 

In der anschließenden Diskussion ergab sich eine rege Teilnahme und ein großes Interesse an der Arbeit von Dr. Philipp Schulz. Auch hier bekamen die Teilnehmenden einen erweiterten Blick auf die Arbeit des Referenten. Er erläuterte in dieser Runde, dass seine Geschlechtsidentität, definiert als Mann, die Arbeit und Datenerhebung im Gespräch mit betroffenen Männern vereinfacht hätte.

 

Wir bedanken uns bei Dr. Philipp Schulz für diesen sehr spannenden Einblick in ein doch eher unzureichend diskutiertes und wichtiges Thema!

 

Weitere Informationen über sexualisierte Gewalt gegen Männer in bewaffneten Konflikten, speziell in Nord-Uganda, finden sich in Dr. Schulzes Buch. Dieses ist unter folgendem Link frei verfügbar: https://t1p.de/bh9o.