Veranstaltungsbericht zur Podiumsdiskussion “Europäische Energiepolitik - Zwischen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit?”

Am 20.06. organisierte die Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik Halle eine Podiumsdiskussion mit dem Titel “Europäische Energiepolitik: Zwischen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit?”. In der zweistündigen Diskussion wurde eine breite Palette von Themen angeschnitten und diskutiert: von der energieintensiven Industrie in Sachsen-Anhalt, über die Klimaziele und -programme der Europäischen Union bis hin zur Frage, wie Deutschland und die Europäische Union ihre Außenpolitik in energiepolitischen Fragen zukünftig gestalten sollten.

An der Diskussion nahmen drei Expert:Innen aus unterschiedlichen Fachbereichen teil: Franziska Böckelmann, Referentin für Energie und Industrie bei der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau; Uwe Zischkale, Abteilungsleiter für Energie, Nachhaltigkeit und Strukturwandel im Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt sowie Jakob Kullik, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik an der Technischen Universität Chemnitz und Doktorand. Moderiert wurde die Veranstaltung von Oscar Prust, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Oscar Prust führte in die Diskussion mit einem kurzen Überblick zur bisherigen Zielsetzung einer unabhängigen Energiepolitik ein. So wurde bereits seit dem russisch-ukrainischen Gasstreit 2005 und 2006 das Thema Gewährleistung der Energieversorgung als sicherheitspolitische Fragestellung diskutiert. 2014 wollte der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Energiepolitik auf europäischer Ebene neu strukturieren, zu einer gemeinsamen Energieunion. Damals sagte er: “Wir müssen den Anteil erneuerbarer Energie am Energiemix auf unserem Kontinent erhöhen. Dies ist nicht nur eine Frage verantwortlicher Klimaschutzpolitik, sondern auch industriepolitisch unumgänglich.“ 

Damit war die Diskussion bereits am zentralen Thema angekommen. Ob Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit überhaupt zusammengehe, oder sich ausschließe, fragte Oscar Prust die drei Experten. 

Nach Jakob Kulliks Ansicht stünde infrage, ob eine vollständige Unabhängigkeit überhaupt erreichbar sei. Auch eine nachhaltige Energieerzeugung sei mit Abhängigkeiten von Unternehmen ausländischer und außereuropäischer Staaten verbunden. Unter Verweis auf das energiepolitische Zieldreieck, das die Ziele Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit gleichermaßen betrachtet, erklärte er, dass jahrelang ein starker Fokus auf Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Energie stand. Die Nachhaltigkeit sei hier zu kurz gekommen.

Aus Sicht Uwe Zischkales stünden Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinander. In einer fairen Partnerschaft mit anderen Staaten sei Abhängigkeit nur ein bedingtes Problem. Wolle man eine größere Unabhängigkeit von außereuropäischen Staaten erreichen sei es nötig, den Energieverbrauch zu reduzieren. Hierfür müsse man sich die Frage stellen, wie die Wirtschaft strukturiert werden müsste, um dieses Ziel zu erreichen. Andernfalls sei man weiterhin auf Partner angewiesen, um den Energiebedarf zu decken und Energiesicherheit zu gewährleisten. 

Mit Blick auf die Frage der Unabhängigkeit machte Franziska Böckelmann darauf aufmerksam, dass sich viele Unternehmen bereits seit über zehn Jahren darum bemühten, sich umzustellen. Hier sei bereits viel passiert und in Bewegung. Um diese Entwicklung jedoch nicht zu unterbrechen, müsse die Politik aufpassen, nicht zu übersteuern. Man sei bereits an der Grenze zur Übersteuerung, so Böckelmann. Sie verwies jedoch auch darauf, dass insbesondere in Sachsen-Anhalt viele Unternehmen auf Energieträger wie Erdgas nicht einfach verzichten könnten.

Zudem müsse das derzeit akute Problem der Kostensteigerungen zunächst gelöst werden, bevor der nächste Schritt gegangen werde. 

Vor Kurzem setzte die derzeitige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen folgendes Ziel: „Wir müssen unabhängig von Öl, Kohle und Gas aus Russland werden […] Es gilt jetzt zu handeln, damit wir die Auswirkungen der steigenden Energiepreise abfedern, unsere Gasversorgung für den nächsten Winter diversifizieren und den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen können.“ Das veranlasste Oscar Prust nach dem derzeitigen Status quo der Europäischen Energiepolitik zu fragen.

Grundsätzlich sei diese Zielstellung der Kommissionspräsidentin nicht unrealistisch, meinte Jakob Kullik. Die Tatsache, dass Energiepolitik im Wesentlichen Sache von Nationalstaaten sei und die Nationalstaaten unterschiedliche Präferenzen bei Energiequellen hätten, erschwere jedoch eine zügige Umstellung auf bestimmte Energiequellen. 

Für ihn liege ein weiteres Problem in der Verschiebung von Abhängigkeiten. So seien beispielsweise viele Firmen aus der Branche der Erneuerbaren Energien nicht in Europa ansässig, sondern in Asien und insbesondere in China. Dadurch würden die Abhängigkeiten von Staaten aus denen derzeit fossile Energieträger importiert werden, hin zu Staaten verlagert, die eine starke Branche im Bereich der erneuerbaren Energien haben. “Wir holen uns neue Probleme ins Haus, die es schon gibt, die aber noch nicht beachtet werden”, so Kullik. Man müsse diese neuen Abhängigkeiten im Blick behalten.  

Für Uwe Zischkale sei es dennoch weiterhin wichtig, einen kontinuierlichen Kurs bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen zu behalten und keine kurzfristigen Änderungen vorzunehmen. Die Kosten des Klimawandels seien bereits sichtbar. Um die Klimaziele zu erreichen, brauche es daher ein stabiles Umfeld, damit Investitionen nicht behindert würden.

Franziska Böckelmann wies jedoch darauf hin, dass viele Unternehmen bestenfalls im europäischen Ausland ihren Sitz hätten, aber auch das sei nicht immer der Fall. Man müsse daher darauf achten, dass diese Unternehmen aufgrund hoher Einsparziele nicht abwanderten. Davon hätte Deutschland keinen Nutzen und dem Klima wäre auch nicht gedient, weil diese Unternehmen im Zweifel in Ländern produzieren würden, in denen deutlich geringere Umweltgesetze gelten. Ganz grundsätzlich müsse man zudem den komplexen Verflechtungen in den Werkstoffketten gerecht werden. Diese seien zwar energieintensiv, böten aber mit ihren Produkten wichtige Bestandteile, um nachhaltige Energiequellen zu errichten. 

Als Nächstes wollte Oscar Prust von den Diskussionsteilnehmern wissen, ob eine gemeinsame Europäische Energiepolitik überhaupt hilfreich, oder notwendig sei.

Man müsse sich als großer gemeinsamer Markt verstehen, wolle man in Asien ernst genommen werden, so Franziska Böckelmanns Einschätzung.

Uwe Zischkale hob den föderalen Charakter stärker in den Mittelpunkt. Eine nationale Energiepolitik sei nicht unbedingt schlecht, da Staaten unterschiedliche Bedürfnisse hätten und dafür entsprechende Lösungsansätze bräuchten. Es müsse jedoch eine “zunehmende Kongruenz statt Konkurrenz” geben, was die Gesamtziele angeht. Dass das funktioniere, sei bei dem EU-Klimapaket “Fit for 55” bereits erkennbar. 

Gleichzeitig müsse der Staat mehr die Kreativität der Unternehmen walten lassen und sich zurücknehmen. Dem stimmten auch die anderen beiden Diskussionsteilnehmer zu. Jakob Kullik schränkte jedoch ein, dass der Staat auch dann noch fundamentale Standards setzen müsse. 

Im letzten Teil der Diskussion ging es um die Frage, welche Rolle der Außenpolitik und einer Kooperation mit dem Ausland bei der nachhaltigen Energieversorgung zukommt. 

Uwe Zischkale sah hierbei, dass die bisherige Nutzung von Einfuhrpfaden wie aus der MENA-Region über Spanien, oder aus der Nordsee und den baltischen Staaten zur Energieversorgung einen Beitrag leisteten und das auch zukünftig so sein werde. Man müsse aber auch sehen, dass viele Staaten bei der Industrialisierung noch aufholen müssen. Diese setzen auf fossile Energiequellen. Diese müssen für den globalen Klimaschutz zunächst für die eigene Wirtschaft Erneuerbare ausbauen bevor sie diese exportieren- Diese Möglichkeit müsse man ihnen geben. 

Auch Franziska Böckelmann sah die Einfuhr aus anderen Staaten als wichtigen Weg. Aber auch hier sei es in erster Linie auf Unternehmensebene die das realisieren müsse und das auch bereits tue. 

Jakob Kullik wies auf verschieden Ansätze solcher Vernetzung hin. China sei da durch seine Staatsunternehmen im Vorteil, weil sie anderen Prinzipien unterlägen. Durch die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland seien diese Möglichkeiten in Deutschland nicht vorhanden. Deshalb fehlten solche Unternehmen, die gleichzeitig auch unseren Rechtsnormen unterlägen. Eine zentrale Frage sei es in dem Zusammenhang, wer die Netze ausbaut und damit einer bestimmten Kontrolle unterliegt.

Im Anschluss an die Diskussionsrunde folgten Fragen aus dem Publikum.

Aus der Diskussion wurde klar: Deutschland und die Europäische Union werden auch zukünftig auf Energieimporte angewiesen sein. Partnerschaften auf Augenhöhe wären eine Möglichkeit, um dabei Abhängigkeiten besser begegnen zu können. Die Zahl autoritärer Staaten in der Welt sind weiterhin Faktoren die man nicht ausblenden kann. Eine gemeinsame Energiepolitik muss auch mit solchen Staaten umgehen. Insbesondere China ist hier ein zentraler Akteur. Wie die zukünftige Zusammensetzung der Energieversorgung aussehen wird, hängt maßgeblich auch davon ab, ob das wirtschaftliche Umfeld stabil bleibt. Hier bestand bei den Diskussionsteilnehmern Uneinigkeit, ob der Staat respektive die Europäische Union nur den Rahmen vorgeben solle, oder aktiv als Spieler einsteigen müsse, um Staatsunternehmen wie denen Chinas etwas entgegenzusetzen. 

Am Ende der Veranstaltung erhielten die Teilnehmer Applaus aus dem Publikum. 

Wir danken Frau Böckelmann, Herrn Zischkale und Herrn Kullik für ihre Teilnahme und die interessanten Beiträge. Zudem danken wir Herrn Prust für die Moderation.