Vor dem Krieg?! Journalismus in Syrien

„Liest man eine Zeitung, liest man alle“, resümierte Fadi Shalhoub zum Ende des Vortrags über den Journalismus und die Medienlandschaft in seiner Heimat Syrien. Der studierte Medienwissenschaftler war für mehrere Jahre bei verschiedenen syrischen und irakischen Fernseh- sowie Radiokanälen unter anderem als Nachrichtensprecher, Programmdirektor und Reporter tätig. Während dieser vielschichtigen Laufbahn eröffneten sich ihm viele Einblicke in die Abgründe, Absurditäten sowie teils bizarren Widersprüche eines totalitär gesteuerten und regimetreuen Medienapparates. Die im Vortrag integrierten Einblicke in das gesellschaftliche Leben Syriens sowie das dortige Normen- und Werteverständnis, offenbarten sich für das tiefergehende Verständnis bei der Ursachenforschung als greifbare Anhaltspunkte und ließen die Fragen nach dem „Wie“ und „Warum“ sowie das Wirken und die Strukturen der syrischen Medien plausibler erscheinen.

 

Dabei hätten die Anfänge der syrischen Medienlandschaft in den 50er und 60er Jahren nach dem Ende der französischen Besatzungszeit durchaus vielversprechend ausgesehen, erklärte Herr Shalhoub in der Einleitung: Initiiert als syrisch-ägyptische Kooperation verfügte die junge Republik anfangs über eine vielfältige und verhältnismäßig unabhängige Rundfunk- und Fernsehanstalt sowie über ein breit gefächertes Angebot an Zeitungen.

 

Ihr jähes Ende fand diese Phase jedoch spätestens mit der Machtübernahme durch Hafiz al-Assad Anfang der 70er Jahre. Statt zu informieren und zu unterhalten, bestand die neue Doktrin aus einem strikten Personenkult um den neuen starken Mann des Landes. Dafür wusste der neue Machthaber die Medien sowie lokale Gepflogenheiten geschickt für seine Propaganda miteinander zu verweben, um die eigene Stellung zu manifestieren und gleichzeitig schwelenden innerpolitische Konflikte zu erkalten. Während es Oberst Assad stets im Sinne einer übermenschliche Vaterfigur als Hommage an das patriarchalische Familienbild zu inszenieren galt, war es auch Aufgabe des staatlichen Funk und Fernsehens die Kluften zwischen der verschiedenen Ethnien und Konfessionen des Vielvölkerstaates zu überdecken sowie von der Privilegierung der alawitischen Minderheit durch das neue Regime abzulenken.

 

Abseits der staatlichen Propaganda blieben das Gespür für die Ansprüche aus der Bevölkerung sowie für journalistische Professionalität zunehmend unbeachtet: Vetternwirtschaft sowie Korruption hielten über Jahrzehnte Einzug in den staatlichen Medienapparat. Daran änderte sich auch mit der Machtübernahme Baschar al-Assads im Jahre 2000 nichts: Posten wurden nach Gutdünken, Beziehungen oder gegen Schmiergelder vergeben, journalistische Kenntnisse oder Befähigungen hingegen hätte stets eine untergeordnete Rolle gespielt, schilderte Herr Shalhoub aus eigener Erfahrung. Die Quintessenz dieser jahrelangen Misswirtschaft wäre der völlige Vertrauens- und Reputationsverlust seitens der syrischen Bevölkerung in die staatliche Berichterstattung gewesen. An dieser Stelle kam der Vortrag zu dem Schluss, dass der Todesstoß für den Apparat nicht erst mit Ausbruch des Bürgerkriegs erfolgt wäre, sondern schon Ende der 90er Jahre mit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens.

 

Die neue Technik ermöglichte es der syrischen Bevölkerung erstmals ausländische Sender zu empfangen, sich der und allgegenwärtigen Kontrolle und Propaganda des Assad-Regimes zu entziehen und sich eigenständig über das Weltgeschehen zu informieren. Wurden anfangs noch Versuche unternommen, den Besitz von Satellitenempfängern unter Strafe zu stellen, stand das syrische Regime deren Verbreitung bald zunehmend hilflos gegenüber. Statt der staatlichen Kanäle, sahen immer mehr Syrer Al-Jazeera oder al-Arabiya. Sich ihres Einflusses in Syrien bewusst, begann die beiden sunnitisch geprägten Sendeanstalten, das seit der Herrschaft der Assads empfindliche ausbalancierte Gleichgewicht der verschiedenen Glaubensrichtungen und Ethnien in Syrien zu stören, indem die Vormachtstellung der Alawiten gegenüber der sunnitisch geprägten Bevölkerungsmehrheit sowie der diktatorische Führungsstil des Baschar al-Assads und seines Vaters kontinuierlich in Frage gestellt wurden. Herr Shalhoub ging davon aus, dass die genannten Sender bewusst konfessionelle Spannungen erzeugt hätten, die sich dann im Zuge des Bürgerkriegs eruptiv entladen hätten. Eine effektive Gegenpropaganda des Assad-Regimes wäre zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, so Herr Shalhoub weiter, da bis auf die eigene alawitische Klientel keinerlei Vertrauen in die staatliche Informationspolitik mehr bestanden habe.

 

Im Vorfeld gestartet Versuche, die Staatsmedien von innen heraus zu reformieren, wären stets aus Furcht vor Repression durch die Regierung, an Unfähigkeit bzw. Unwillen sowie der allgegenwärtigen Korruption gescheitert, berichtete Herr Shalhoub, der an dieser Stelle selbst über seinen aus heutiger Sicht naiv erscheinenden Aktionismus schmunzeln musste. Bis dato gehörte es zu gängigen Praxis, aufgrund der mangelnden Ausbildung und Kreativität der Mehrheit der Mitarbeiter sowie der „Gleichschaltung“ durch das Assad-Regime, dass alle Sender, Zeitungen und Radioprogramme zeitgleich ähnliche Berichte veröffentlichten und sich gegenseitig aufeinander mit Quellenbezug zu stützen versuchten – nur wechselnde Überschriften sollten das Offensichtliche verschleiern.

 

Zum Abschluss hatte Herr Shalhoub noch einige durchaus nützliche Tipps parat, sollte sich jemand in der nächsten Zeit – vielleicht sogar in einem journalistischen Mission – zu einer Reise in seine Heimat entschließen: Hotelzimmer sollten möglichst weit entfernt der Straße aber nah am Treppenhaus gebucht werden. Plätze in einem Café seien stets abseits der Straßenfront und nah am Hinterausgang zu wählen. Zudem sei die ständige Erreichbarkeit über Mobilfunk unabdingbar und bevor man sich allein auf den Weg macht, sollten Mitreisende unbedingt über die eigenen Ziele in Kenntnis gesetzt werden. Zu guter Letzt empfähle er, einen unparteiischen Kleidungsstil zu wählen, um im Zweifelsfall nicht zwischen die Fronten zu geraten.