„Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende“ – Ein Interview mit Herrn Jakob Kullik

Im Rahmen der diesjährigen Interviewreihe „Ressourcen-Nexus“ möchten wir die Verflechtungen zwischen Sicherheit und Ressourcen thematisieren. Als Einstieg in die Reihe haben wir dazu mit dem Experten Jakob Kullik über das Thema „Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende“ gesprochen. Herr Kullik ist Politologe für Rohstoffpolitik an der Technischen Universität Chemnitz.

BSH: Wie haben Sie als Wissenschaftler das Forschungsthema Rohstoffpolitik für sich entdeckt?

 

Kullik: Das ist eine Mischung aus akademischem Interesse und Zufall. Sicherheitspolitische Themen haben mich im Grunde schon während des Studiums interessiert und ich habe diese im Rahmen anderer Projekte immer im Blick gehabt. Durch die Seltene-Erden-Krise im Jahr 2010 bin ich intensiver mit dem Thema Rohstoffe in Berührung gekommen. Vor allem die Möglichkeit, ein Jahr später 2011 am Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie das Thema Rohstoffe aus ökonomischer und politischer Sicht zu analysieren, war für mich der Startschuss. Seitdem vertiefe ich das nun seit sieben, acht Jahren bis hin zu meiner aktuellen Promotion.

 

BSH: Sie haben gerade die Seltene-Erden-Krise von 2010 erwähnt, die Sie auf das Thema Rohstoffe und Sicherheit gebracht hat. Können Sie kurz erläutern, was die Seltene-Erden-Krise von 2010 ist?

 

Kullik: Es unterscheidet sich ein bisschen, wen Sie fragen: Die einen sagen es war nur ein kurzes Vorkommnis, andere würden sagen, China hat zum ersten Mal die Muskeln gespielt. Zeitlich befinden wir uns im Herbst 2010 und wir haben hier mindestens zwei Ereignisse. Es gab einmal eine Ankündigung der chinesischen Regierung, dass bestimmte Exportquoten für Seltene Erden reduziert werden. Das hat noch nichts mit dem eigentlichen Export zu tun, sondern einfach, dass China sagt: Okay, bis zu dieser Quote liefern wir Seltene Erden. Auf der anderen Seite hatten wir einen kurzen Zwischenfall im Ostchinesischen Meer zwischen japanischen und chinesischen Booten, bei dem die Japaner ein chinesisches Fischerboot gestoppt haben. Die Reaktion der Chinesen war, den Handel mit Seltenen Erden mit Japan für etwa drei Monate komplett einzustellen. Die Ereignisse der Seltene-Erde-Krise von 2010 haben schließlich als eine Art Impulsgeber in der Wissenschaft dazu geführt, diese Strukturen im Bereich des Rohstoffhandels genauer zu analysieren und sich die Fragen zu stellen: Wer hat wo welche Monopole und woher kommen diese? Und warum hatten wir diese Abhängigkeiten nicht auf dem Radar?

 

BSH: Im Zuge der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen Zeitenwende haben Sie im Mai 2022 in einem Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik unter dem Titel „Zeitenwende heißt auch Rohstoffwende“ eindringlich auf das Thema Rohstoffe hingewiesen. Was meinen Sie damit und was wollen Sie damit auf das Radar setzen?

 

Kullik: Der Punkt ist, einen Unterschied zwischen den Themen Rohstoffe und Energie zu machen. Energie war immer relativ prominent. Im Zuge der Ereignisse 2022 mit Blick auf Russland, wurde uns dann die Versorgungssicherheit von Gas vor Augen geführt. Die anderen Versorgungssicherheiten, also das, was im Schatten davon stand, wie kritische Rohstoffe, der ganze Bereich der Metalle, Kobalt, Lithium, Gallium, Germanium und so weiter, war das ganze Jahrzehnt bis dahin nur bei wenigen Experten auf dem Schirm. Das Problem mit dieser Perzeption von Versorgungssicherheiten ist aber nicht nur ein rein sicherheitspolitisches, das wäre verkürzt. Wir sind das Land der Energiewende oder wollen es zumindest sein. Nur haben wir - so auch die These des Arbeitspapiers - diesen Unterbau der Versorgungssicherheit nahezu komplett vernachlässigt. Wir haben im Grunde mit der Abhängigkeit im Energiesektor ein Ereignis mit Russland mit allen Konsequenzen erlebt: Verknappung, Preisentwicklung etc. Wir steuern auf den größten Umbau der Industriegeschichte in unserem Land zu, aber wir haben diese Abhängigkeiten kaum im Blick und fragen uns immer wieder: Ja, welche Instrumente haben wir denn? Und das ist sozusagen das Hauptargument, wenn wir das Thema Zeitenwende haben. Dann ist das nicht nur eine rein sicherheitspolitische oder eine sicherheits- oder militärpolitische Aufgabe mit Blick auf die Bundeswehr, sondern eigentlich eine viel größere gesamtwirtschaftliche Herausforderung. Diese strukturellen Abhängigkeiten, die jederzeit spürbar werden können, wenn in China oder anderswo durch irgendwelche Ereignisse die Situation eskaliert, sollten uns eigentlich ein bisschen mehr Bauchschmerzen machen.

 

BSH: Warum ist es grundsätzlich wichtig, den Nexus von Rohstoffen und Sicherheit politisch zu gestalten und was verbirgt sich hinter dem Konzept der Rohstoffsicherheit?

 

Kullik: Der Standardbegriff in der Wissenschaft ist Versorgungssicherheit. Rohstoffsicherheit ist ein Stück weit verkürzt, genau wie Energiesicherheit. Im Grunde besteht ein Nexus aus Verfügbarkeit, Preis und Nachhaltigkeit und man könnte noch die Akzeptanz in der Bevölkerung hinzufügen. Je nachdem, welcher Aspekt des Nexus betrachtet wird, wird unterschiedlich priorisiert. Ökonomen könnten sagen: Für uns spielt eigentlich nur der Preis und das Thema Versorgungssicherheit eine Rolle. Sicherheitspolitiker könnten sagen: Naja, aber schaut euch die Risiken und Abhängigkeiten genauer an und vielleicht müsste der Staat oder die EU, je nachdem auf welcher Ebene man sich befindet, auch etwas tun. Es handelt sich also im Kern um eine Grundsatzfrage, fast schon um eine ordnungspolitische: Wie viel soll der Markt selber regeln und wo sollte der Gesetzgeber intervenieren? Entscheidend ist, zu verstehen, dass Versorgungssicherheit nicht nur eine Frage des Preises ist, wie wir es jahrzehntelang getan haben. Es geht nicht darum, die Marktmechanismen auszuhebeln, sondern darum, über den Trend der Geopolitisierung als strukturellen Faktor in den internationalen Beziehungen nachzudenken. Die ideale Welt wäre, wenn wir dieses Problem der Geopolitisierung gar nicht hätten, wenn China den Markt nicht verzerren würde, wenn die WTO funktionieren würde, wenn wir im Prinzip regelbasierte Handelsbeziehungen hätten, aber das ist nicht der Fall. Leider sind wir in Deutschland - und da nehme ich jetzt die Experten-Community aus - immer sehr, sehr spät darin, das nüchtern zur Kenntnis zu nehmen.

 

BSH: Gibt es seitens der Bundesrepublik Deutschland strategische Ziele oder Mechanismen zur Reduzierung von Abhängigkeiten?

 

Kullik: Typisch für Deutschland gibt es für alles Mögliche ein Strategiepapier, so auch für die Rohstoffstrategie. Interessanterweise hat die Aktualisierung dieser Rohstoffstrategie der Bundesregierung mehr als zehn Jahre gedauert. Die aktuelle Rohstoffstrategie der Bundesregierung ist aus dem Jahr 2020 und baut auf der Vorgänger-Strategie von 2010 auf. Das Problem bei diesen Strategiepapieren ist, dass sie im Grunde alles wollen: Sie wollen Versorgungssicherheit für die Volkswirtschaft; Sie wollen, dass es möglichst nachhaltig ist; Sie wollen international kooperieren; Sie wollen auch noch europäisch kooperieren; Gleichzeitig wollen sie die Kooperation den Unternehmen überlassen; Sie wollen heimischen Bergbau; Und sie wollen Diversifizierung; Sie wollen im Grunde alles! Das ergibt politisch Sinn, da jedes Ministerium, jedes Ressort sozusagen seine eigenen Wünsche äußert. Es gibt viele Ministerien, die sich mit Rohstoffen beschäftigen. Also jedes Ministerium hat entweder eine Abteilung, ein Referat, einen Referatsleiter oder zumindest einen Referenten, der sich mit dem Thema Rohstoffe beschäftigt. Die große Musik spielt sich aber vor allem zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Auswärtigen Amt (AA) ab.

Die meiste Expertise hat dabei das BMWK, welches auch federführend bei der Rohstoffstrategie der Bundesregierung ist. Zudem sind hier die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) zu nennen. Diese sind die Inhouse-Beratung des BMWK für den Bereich Geologie, Rohstoffmärkte, Rohstoffentwicklungen und Zukunftstechnologien. Im Grunde sehen sie aber, dass es das große Ziel ist, Abhängigkeiten zu reduzieren. Dabei spielt das Parteibuch der ministeriellen Hausleitung eine nicht unerhebliche politische Rolle. Die aktuelle Bundesregierung setzt weniger auf strategische Wirtschaftspolitik als auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Beide Politikprogramme zielen jedoch darauf ab, die multiplen Abhängigkeiten von zahlreichen kritischen Rohstoffen zu verringern und handlungsfähig zu sein.

 

BSH: Inwieweit sind die strategischen Ziele der EU wie z.B. der „Critical Raw Materials Act“ von geostrategischer Bedeutung für die Rohstoffsicherung der Bundesrepublik Deutschland und wie bewerten Sie diese Mechanismen?

 

Kullik: Die EU als Akteur im Rohstoffbereich ist eine Art Zwitter. Auf der einen Seite ist die Versorgungssicherheit der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Vertrags von Lissabon primäres Recht der Nationalstaaten. Auf der anderen Seite ist die EU-Kommission auf supranationaler Ebene für den Handel rechtlich zuständig und kann hier Normen setzen. In diesem geteilten Verantwortungsbereich ist die EU im Rohstoffbereich eine Art Zwitter, da beide Rechtsbereiche für den Rohstoffbereich relevant sind.

Einer dieser Normen ist der viel diskutierte Critical Raw Materials Act, der im vergangenen Jahr 2023 als Vorschlag veröffentlicht wurde. Das Gesetz setzt deutliche, aber unverbindliche Zielmarken in den Bereichen Abbau, Verarbeitung und Recycling und will die bestehenden Abhängigkeiten bis 2030 reduzieren. Meine Einschätzung ist, dass es zwar grundsätzlich Sinn ergibt, strategische Ziele zu setzen. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Art planerisch-strategisches Vorgehen. Das Problem ist nur, im Bergbau ist 2030 quasi übermorgen. Sechs Jahre – das hört sich jetzt lange an, aber das ist relativ kurz. Bergbauinvestitionen rentieren sich erst nach sieben, zehn, 15 Jahren. Das heißt die Initiative des Critical Raw Materials Act 2030, hätte schon vor zehn Jahren gemacht werden müssen. Deswegen ist der strategische Gedanke aus meiner Sicht richtig, aber sehr ambitioniert. Gerade die Benchmark, dass die Importabhängigkeit bei einem beliebigen Rohstoff von einem Drittlieferanten maximal 65% betragen darf, halte ich für äußerst ehrgeizig. Konkret hieße das zum Beispiel bei den Seltenen Erden, die Abhängigkeit von China von 90 bis 100% bis 2030 auf maximal 65% zu reduzieren. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie soll das gehen? Beim Bergbau in der EU bin ich sehr gespannt, weil unsere Planungsverfahren sehr lange dauern. Beim Recycling, bei den Seltenen Erden ist das derzeit nur zu 1 bis 2 % möglich. Bei der Verarbeitung in der EU, okay, aber das kostet uns Geld, weil wir Fabriken bräuchten. Also das ist typisch EU, Sie haben einen richtigen oder auch plausiblen strategischen Vorschlag mit dem Critical Raw Materials Act. Aber der ist so ambitioniert, dass man aus heutiger Sicht sagen muss, großes Überraschungsei, wer das umsetzen soll.

 

BSH: Welche Rolle spielen Rohstoffe für Zukunftstechnologien, insbesondere im Kontext einer grünen Transformation?

 

Kullik: Die Deutsche Rohstoffagentur gibt zusammen mit dem Fraunhofer Institut alle fünf Jahre einen Katalog heraus, der prognostiziert, welche Rohstoffe für ausgewählte Zukunftstechnologien relevant sein könnten. Die Agentur erstellt in diesem Katalog Synopsen, indem sie sich Zukunftstechnologien wie Batterietechnologie, Solar und andere anschaut und dann untersucht, welche Rohstoffe für diese Zukunftstechnologien in den nächsten 10 bis 20 Jahren relevant sein werden. Es gibt jedoch gewisse Probleme mit dieser Art der Prognose. Grundsätzlich können sie den Rohstoffbedarf auf Basis der Zukunftstechnologien nur für wenige Jahre, vielleicht mittelfristig vorhersagen. Beispielsweise wissen sie im Batteriesektor nicht, welcher Batterietyp, welche Zellchemie und welche Rohstoffe sich längerfristig in der Produktion durchsetzen werden. Ein weiteres Problem ist, wenn einzelne Länder politisch für sich entscheiden, dass sie einen bestimmten Teil einer Wertschöpfungskette im eigenen Land haben wollen. Das Land könnte beschließen, mit einem Staatsunternehmen einen größeren Marktanteil zu gewinnen. Das verzerrt den Markt und man weiß nicht, ob der Bedarf an bestimmten Rohstoffen jetzt kritisch ist oder nicht. Also man kann immer nur mit einer gewissen Plausibilität etwas annehmen, aber diese Prognose ist immer mit vielen Fragezeichen verbunden. Dennoch sind diese Studien eine wichtige Grundlage für spätere politische Entscheidungen.

 

BSH: Müssten wir nicht stärker auf Wiederverwendung, Forschung und Kreislaufwirtschaft setzen, anstatt mehr Rohstoffe zu fördern, um die Pariser Klimaziele zu erreichen?

 

Kullik: Absolut, das ist ein Riesenthema. Leider geht dies aber primär nur bei Metallen und da auch nur begrenzt. Bei Massenmetallen, die rein oder wenig verunreinigt sind, liegt die Recyclingquote in Deutschland zwischen 40 bis 50 %. Sehr gering sind die Rückgewinnungsraten bei kritischen Rohstoffen in hochkomplexen Stoffgemischen, z.B. bei Lithiumbatterien und anderen Seltenerdmetallgemischen, die im Nanogrammbereich in Displays enthalten sind. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist die Rückgewinnung derzeit oftmals viel zu teuer. Das Zurückgewinnen ist zudem auch energetisch nicht immer nachhaltig, weil der Recyclingprozess mehrere komplexe energieintensive Schritte benötigt. Ich glaube aber, es ist mehr oder weniger Common Sense, dass wir in Zukunft mehr Kreislaufwirtschaft und weniger Bergbau brauchen. Ohne Bergbau wird es jedoch auch künftig nicht gehen. Die Frage ist nur, wie schnell das passiert und wie wir mit informellen Parallelmärkten wie den Elektroschrotthandel umgehen. Im Moment wird unser Elektroschrott größtenteils nur nach Afrika exportiert. Wie lässt sich das verhindern und wie kann man diese Rohstoffe wieder in den Kreislauf einbringen? Wenn Sie das lösen – technisch, sozial, nachhaltig – dann wäre das ein riesiger Beitrag zu den Pariser Klimazielen.

 

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Das Interview mit Herrn Jakob Kullik wurde am 03. März 2024 von Georg Tannen und Simone Beringer geführt.